Presse Wien, Aufführung 08. April 1979 |
Don Carlos |
Der Lärm ging im Jubel unter |
„Don Carlos“ unter Herbert von Karajan bei den Salzburger
Osterfestspielen |
Unter tosenden Beifall des Publikums, in den der Maestro einige Mate
selbst einstimmte, ging am zweiten Abend der Osterfestspiele "Don
Carlos“ von Giuseppe Verdi in einer Version vor sich, die wir szenisch demnächst
auch in Wien erleben werden, deren musikalische Interpretation jedoch hoffentlich
nicht auch, in die Staatsoper gelangt: sie klang sehr oft eher nach John
Philipp Sousa und dessen aufmunternden bombastischen Blechmusikorgien und nur
in den anderen extremen Momenten nach Verdi in der sensiblen Fassung Herbert
von Karajans. Was die szenische
Aufbereitung anlangt, so muß man längst nicht mehr viel über sie berichten,
sie ist den Freunden Salzburgs seit einigen Jahren wohlbekannt; sie wird
durch die so breite Bühne Schneider-Siemssens und durch den Hang Karajans für
wohldosierte Aktionen, bei denen wahre Leidenschaft nicht gerade häufig ist,
geprägt. Auftritte von Mönchen oder Volk sind sorgfältig vorbereitet, was die
Damen und Herren Protagonisten tun, das ist im Detail nicht so wesentlich.
Sie müssen nur in angemessenen Abständen ihren Standort wechseln. Damit
einmal die linke, dann wieder die rechte Bühnenhälfte bespielt ist. Das klingt unfreundlich,
doch es ist die Methode Karajans, und jedermann kann sie kühlen Herzens
nachprüfen, wenn er einmal das Gartenbild oder eine andere Szene überblickt.
Wie in Verona muß sich der Regisseur nach den örtlichen Gegebenheiten und
nicht nach seinen eigenen Intentionen richten, und Karajan, dem man ja eine
Mittäterschaft an dem großen Festspielhaus nachzurühmen pflegt, hat sich ganz
darauf eingestellt. Er selbst merkt wahrscheinlich kaum mehr, wie dekorativ
er seine Interpreten verteilt und wie wenig er sich dabei um das Werk in dem
sie ja auch auftreten, kümmert. Man könnte ihnen beruhigt zumuten, demnächst
ganz ähnlich auch „Aida“ darzustellen, und sie werden es im Sommer gewiß auch
so tun: Einmal rechts, einmal links und bei heiklen Situationen vorne nahe dem
Souffleurkasten, wo die beschwörende Gegenwart des Magiers beim Pult
besonders inspirierend wirkt. Im Ensemble, das wir
seit sehr vielen Jahren kennen und nicht genug schätzen können — allerdings
wirkt es auch etwas wie in gewissen englischen Schablonenfilmen, in denen
immer wieder dieselben Typen auftreten —‚ im Ensemble Karajans hat sich nur
wenig verändert. Erstaunlicherweise auch, was die stimmlichen Qualitäten der
einzelnen Damen und Herren anlangt. Da ist Mirella Frei,
die völlig alterslos scheint deren Sopran nichts von seiner Ausstrahlung
verliert, deren schlichte Reinheit immer wieder fasziniert. Da ist Nicolai
Ghiaurov, dessen Stimme edler und nuancierter geworden ist, jedoch noch keine
Abnützungserscheinungen kennt, weiterhin darf man ihm aus vollem Herzen
zujubeln und tut es gern. Da ist Piero Cappuccilli, der die gewiß
kultivierteste und reinste Stimme im Ensemble hat und dessen große
Abschiedsarie leider wieder nicht zu dem Triumph wurde, den andere aus dem
Ensemble für sich herausschinden konnten — es scheint, Cappuccilli werde
immer wieder etwas unter seinem Wert verkauft. José Carreras ist nicht
ganz so lang im Ensemble wie die anderen. Immerhin aber singt auch er schon
einige Jahre bei Karajan, und wenn er weiterhin anderswo interessante Partien
übernimmt, so kann er sich hier bei den Festspielen auch die einfachen, die
populären leisten. Er ist einer der drei großen Sänger unter den Tenören von
heute und wäre gern Giuseppe di Stefano. Ich fürchte, er wird es nicht ganz
werden. Agnes Baltsa feierte
ihr Rollendebüt in diesem Ensemble. Sie tat es als Eboli und mit ihrer ganzen
Persönlichkeit. Aber auch mit ihrer ganzen Kraft. Nach der großen Arie hatte
sie gerade noch die Möglichkeit den Dank des Dirigenten entgegenzunehmen —
ich glaube, sie wird selbst verstanden haben, daß sie diesmal an die Grenzen
ihrer Leistungsfähigkeit getrieben wurde und daß sie gut daran täte, dies
nicht zu oft mit sich geschehen zu lassen. Herbert von Karajan ist imstande,
einen Sänger auf Händen zu tragen, er ist aber auch immer wieder
risikofreudig auf Kosten eines Sängers, und wenn Frau Baltsa den Versuchungen
nachgibt, die er ihr gerade jetzt bietet, dann wird sie ihr Sängerleben um
mehrere Jahre verkürzen. Wohlverstanden: ihre
Eboli war ein Naturereignis. Aber es war zugleich eine Art Katastrophe. Denn
man ahnte, daß es Frau Baltsa schwerfallen wird, nicht alle die Partien zu
singen, mit denen sie sich da jetzt einen kurzlebigen Ruhm erringen kann.
Hoffentlich irrt man sich diesmal. Bleibt zu erklären, was
mit John Philipp Sousa zu Beginn des Berichtes gemeint war.
Selbstverständlich die Art, in der Karajan seine Berliner
Philharmoniker aufspielen ließ. Das Orchester, in dem Salzburger Haus von
Natur her Mittelpunkt auch des Operngeschehens, spielte zum erstenmal „Don
Carlos“ und war entsprechend unsicher. Es verpaßte Einsätze, wenn Karajan für
Passagen vergaß, daß er es nicht mit Routiniers zu tun hatte. Es irrte
hörbar, wenn es ganz ohne Einsätze auskommen mußte, und es war ganz und gar
nicht darauf vorbereitet, sich den Sängern anzupassen oder gar unterzuordnen.
Entweder mußte der Dirigent flehentlich um ein Pianissimo bitten, oder er
wurde bei seinen Fortissimoanzeigen mit so viel Brutalität von seiten des
Blechs und des Schlagzeugs belohnt, daß man einfach erschrak und jede
musikalische Linie Verdis grausam unterbrochen war. Soviel Lärm erzeugt nicht
einmal ein Orchester unter Riccardo Muti. So offensich spielt nicht einmal
die Banda municipiale auf einem italienischen Marktplatz, wenn es um den
Triumphmarsch aus „Aida“ geht. Das war, geben wir zu, kein Erfolg für die
Herren Berliner, das war einfach eine Demonstration ihrer
Inkompetenz in Sachen Oper. Sie wurde aber mit
Jubel aufgenommen. Das treue Publikum, das seit einigen Jahren für die
Karwoche den „Parsifal“ versprochen erhält, stellte sich ohne emotionelle
Schwierigkeiten auf „Don Carlos“ um und hatte an ihm genauso viel Pläsier und
vielleicht sogar noch etwas mehr als an der erwarteten Auseinandersetzung mit
dem heiklen Werk Wagners. Schade eigentlich, daß
man in den Jubel über einige faszinierend gesungene Arien und Duette
einstimmen mußte und daß man keine andere Möglichkeit hatte, sein Mißfallen
an dem überlauten Orchester auszudrücken, als den Kopf zu schütteln.
Dergleichen bleibt eine doch zu diskrete Meinungsäußerung. Karajan und die
Berliner aber hätten einige laute Ablehnung verdient Sie werden es als
wirkliche Musiker schon selbst wissen und nicht zu froh sein über den Jubel.
Er war mit Paniken und Trompeten erbeten und wird sich so bald nicht
wiederholen. Bei den nächsten Osterfestspielen müssen sie sich ihren Erfolg
wieder mit wirklicher Arbeit verdienen. |
Franz Endler |