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Hannoversche Allgemeine Zeitung, Aufführung 08. April 1979

Don Carlos

Eindrücke von den Osterfestspielen Salzburg, Auszug

Karajans Vitalität scheint ungebrochen

Wer angenommen hatte, Herbert von Karajan werde sich jetzt nach seiner kaum überstandenen Krankheit und Operation schonen und etwas kürzer treten, wurde auf seinen von ihm zum 13. Mal veranstalteten Osterfestspielen in Salzburg eines anderen belehrt. Mit einer beispielhaften Konzentrationsfähigkeit und ungebrochenen Vitalität überraschte er sein großes internationales Publikum in den Aufführungen von Sinfonien, der großen Beethoven-Messe und der Oper „Don Carlos" im Großen Festspielhaus wie eh und je. Nach den bisherigen Eindrücken zu urteilen, wird er die physischen Strapazen auch des zweiten Festspielzyklus, der bis zum zweiten Ostertag dauert, genau so tapfer und konzentriert durchstehen. Ob sich Karajan allerdings die Belastungen seines Einmann-Festivals unter den jetzt gegebenen Umständen unter körperlichen Schmerzen abringen muß, weiß keiner. Gewiß, die Krankheit hat Spuren hinterlassen. Sicher aber ist, daß die künstlerische Leistungskraft des Chefs der Berliner Philharmoniker durch die körperlichen Schicksalsschläge der letzten Monate keinen Knacks erlitten hat. Wie scheinbar gelöst und heiter gab er sich auf einer öffentlichen Orchesterprobe für den Fördererkreis.

 

Karajan, gerade 71 geworden, schenkte sich also nichts. Und nur an der Programmgestaltung, die sich auf Reprisen beschränkte, war zu merken, daß er sich im Augenblick nicht in das Abenteuer einer Opern-Neuinszenierung stürzen konnte und wollte. Die plant er fürs nächste Jahr mit Wagners „Parsifal", für den es ja schon heute zu disponieren gilt. Er denkt sogar noch weiter: an Verdis „Falstaff“ für 1982.

 

Der von jeher für Verdi besonders entflammte Karajan hebt auch im "Don Carlos“ die Reichtümer der Partitur wie neu. Von Routine — so manche der Zuhörer haben „Don Carlos“ bereits bei den Salzburger Sommerspielen gehört — kann keine Rede sein, sondern nur von spontaner, vertiefter Wirkungsabsicht. Je weniger man allerdings über Karajan gedanklich nicht weiter entwickelte, sondern einfach und gefühlsmäßig motivierte Inszenierung sagt, desto besser ist es.

 

Die dramatische Zerreißprobe des Abends ereignet sich im Berliner Philharmonischen

Orchester, das direkter, unerbittlicher ins Zeug geht als die „Wiener“, deren entspannteren, herzlicheren „Don-Carlos“-Klang man von den Vorjahren her noch im Ohr hat.

 

Das solistische Ereignis war die Neubesetzung der Eboli durch Agnes Baltsa, die Leidenschaft, Rachsucht und schließlich Verzweiflung der Rolle mit so hinreißender gesanglicher Spannkraft erfaßte, daß andere Stars wie Ghiaurov, Carreras, Cappuccilli —der als Posa faszinierte — daneben keinen so leichten Stand hatten. Mirella Freni, als Elisabeth gleichsam eine Desdemona auf Spaniens Thron, erreichte vielleicht deshalb nicht ihre frühere Form, weil die phänomenale Agnes Baltsa — der nach der großen Arie sogar Karajan zuklatschte — an diesem Abend wie ein Schatten über ihr stand.

 

 

Erich Limmert