Salzburger Nachrichten, Aufführung 30. Juli 1980 |
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Die kalte Leidenschaft im Ägyptischen Museum |
Karajans „Aida“ im Großen Haus wieder zur Schau gestellt — Amneris und
König neu besetzt |
Doch die Dinge gehen
tiefer. In Ägypten ist alles beim alten, und dennoch: diese „Aida“ wirft
diesmal vermehrte Zweifel auf. War der Eindruck des Gigantischen, obwohl man
ihn vorausgesehen hatte, zunächst, für sich genommen, den Abmessungen des
Hauses angepaßt, so hat man heuer erst rechtschaffen Zeit, auf die Substanz
von Szene und Musik zu achten. Indem Karajan, dem natürlich mit den Wiener Philharmonikern
schönste Passagen gelingen, das Maß bis zur Verdoppelung und darüber hinaus
steigert, enthüllt sich diese „Aida“ als ein seelenloses Wesen, gleich der
mechanischen Puppe Olympia, die in diesem Jahr an demselben Ort zum Leben
aufgezogen wird. Nicht die musikalische Wahrheit bestimmt den Gang der Dinge,
sondern die Demonstration der technischen Möglichkeiten. Darüber, was Verdi,
trotz dem Triumphakt, der pompösen Schaustellung eines siegreichen Feldherrn,
meinte und wollte, steht in der Analyse im Programmheft des Abends. Die Bühne
und der Orchestergraben bleiben solchen Dimensionen verschlossen. Es mochte irgendwie tröstlich sein für
diejenigen, die Verdi sehen und hören wollten, daß auch der Magier Karajan,
der virtuos auf allen Apparaturen technischer und musikalischer Art zu
spielen weiß, dort versagt, wo er sich zu viel zumutet. Es war somit nicht
verwunderlich, daß der ins Unermeßliche gesteigerte, mit drei Chören, zwölf
statt sechs Ferntrompeten, elektroakustischen Verstärkungen und einem Heer an
Statisterie ausgestattete Triumphakt hörbar zerfiel, daß Karajan trotz
souveräner Schlagtechnik als Koordinator auf verlorenem Posten stand. Zu
schweigen von jenen jämmerlich intonierenden Männerstimmen vor dem Einsatz
des Triumphmarsches, die keines Festspiels würdig waren. Immer noch erlebt man also nach Karajans Facon
den Jubel der Massen für den Sieger: als statuarisches Bild geordnet auf zwei
Stufenpyramiden aufgestellter Menschen, von denen jene in den oberen Regionen
aus Sicherheitsgründen angebunden sind. Ein Dekorum nach der Art Hollywoods,
eine Huldigung aber ohne jede Regung,
sieht man ab von dem seltsamen, zudem unmusikalisch ausgeführten Tanz, wofür
die Verantwortung laut Programmheft immerhin John Neumeier übernimmt. Doch
selbst in diesem Staatsakt hat Verdi einen menschlichen Kern verankert: die
Begegnung des gefangenen Äthiopierfürsten mit seiner als Sklavin in Ägypten
gehaltenen Tochter, ein Klimax von erschütternder Wucht. Hier aber bleibt
diese wie jede andere Leidenschaft kalt. Man bestaunt Menschen und Massen wie
unter einem Glassturz im Museum. Die beklemmende
Gegenwärtigkeit und Aufrichtigkeit einer Musik, die Ehrlichkeit der
klanglichen Aussage ist umgedeutet zur Gigantomie. Aus diesem Blickwinkel
entdeckt man auch Ungereimtheiten von geradezu logischer Konsequenz: der Chor
beispielsweise absolviert die „Guerra“Rufe des 1. Aktes ohne Bewegung. Es ist
aber in solchem Fall auch gleichgültig, daß im 2. Bild genau achtzehn
Priester stehen, der Chor-Klang aber hundertfältig aus den Lamellen der
Vorbühne dringt. Von den unglücklichen szenischen Eingebungen im dritten und
vor allem im vierten Akt nicht zu reden. Wenn das Ganze nicht
stimmt, richten auch noch so schöne Details nichts aus. Zu diesen zählten die
beiden großen Szenen der Aida, denen Mirella Freni den warmen Glanz und
berührenden Schmelz ihres Soprans gab. Daß sie auch in diesem Sommer noch
nicht ganz mit der Partie verwachsen ist, weil sie ihr weniger zugehört, mag
auch auf die musikalische Gangart insgesamt zurückzuführen seht Das
Ensemble der Protagonisten hat sich in einem entscheidenden Punkt verändert.
Ruza Baldani singt diesmal anstelle von Marylin Horne die Amneris. Sie
beginnt vielversprechend, auch was die Zeichnung der Figur durch den
stimmlichen Ausdruck betrifft, hat jedoch für die Ausbrüche der
Verzweifelnden vor dem priesterlichen Gericht nicht die Kraft zur musikalischen Gebärde, wobei zudem das Vibrato noch unter
Kontrolle gebracht werden müßte. Das dunkle Timbre Ruza Baldanis gibt der
Figur jedoch starke Kontur. Geringe Ausstrahlung kommt von Agostino Ferrin,
dem König dieses Sommers. Die Stimme hat weder Kraft noch Glanz, der Macht
des Herrschers kann die Macht des Basses nicht genügen. Selten vernimmt man
von dem Monarchen, was er singt. Allerdings hatte es den Anschein, als wollte
Karajan in besonderem Maß die Brillanz des Orchesters gegenüber der
Sängerszene herausstellen. Für uns neu ist ebenfalls Ruggero Raimondi, der
bereits im Vorjahr von der dritten
Vorstellung an den Ramphis von Nicolai Ghiaurov übernommen hatte, zuvor aber
der König gewesen war. Auch als Oberpriester weiß er seine Stimme
herrschaftlich vielleicht zu wenig gezügelt einzusetzen. In den tieferen
Regionen büßt sein Organ etwas an Farbe ein. Wenig Farbe gibt auch José
Carreras dem Feldherrn Radames. Der Preis der „Celeste Aida" fand beim
Publikum nur zaghaft Anklang, mit zunehmender Dauer des Abends verliert der
Tenor immer mehr an gesanglichem Profil. Die Stimme klingt angestrengt und
unschön, in den Höhen forciert. Auch Piero Cappuccilli hat man in besserer Erinnerung, wiewohl sein Amonasro auf weite Strecken
hier der einzige „Mensch“ auf der Bühne ist. Thomas Moser als Bote und Marion
Lambriks als Priesterin bewährten auch wie im Vorjahr. Das Publikum jubelte
allen Beteiligten mit Ausdauer zu. Glanz und Gloria einer Aufführung. Den
Musik-Dramatiker Verdi ließ sie nicht zu seinem Recht kommen. |
Karl Harb |