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Münchner Merkur

 

Hochdekorierte Klang-Orgie mit Maestro Karajan

Im zweiten Jahr: die monumentale Salzburger „Aida"


Der Schreck war groß, als im vergangenen Jahr zum erstenmal der Vorhang über Karajans Salzburger Festspiel-,,Aida“ aufging. Günther Schneider-Siemssen hatte ins Maßlose übertriebene Säulenhallen, Tempel, Pyramiden auf die Bühne gestellt, hatte in die Monumental-Dekoration sogar die Seitenwände des Proszeniums einbezogen. In dieser Szenerie ließ Karajan die Figuren meist beziehungslos herumstehen, veranstaltete er im Triumph-Bild ein das Ordinäre streifende Superspektakel. All das lenkte sehr von der Musik ab.

 

Wer jetzt, bei der Wiederaufnahme dieser „Aida“, die Aufführung zum zweitenmal besuchte, konnte die Erfahrung machen, daß sich der Bühne gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit einstellte. Daß das Auge immer wieder von der Szene weg in den Orchestergraben wanderte zu Maestro Karajan, dem mit den Wiener Philharmonikern eine exemplarische Aufführung gelang.

 

Sie hatte äußerste dramatische Kraft, atemraubenden musikalischen Impuls, war von erlesener lyrischer Zartheit. Die Einleitung des ersten Aktes geriet zu einem Wunder an melodischer Geschmeidigkeit, die zum Nil-Akt glitzerte geradezu impressionistisch. Karajan fächerte in solchen Passagen den Klang raffiniert auf, ohne die Partitur in Partikelchen zu zerlegen.

 

Blitzartig und trocken kamen die Orchesterschläge, die ja zu den erregendsten Mitteln von Verdis Musiksprache gehören. Äußerste Dringlichkeit in der Führung der Arien und der Ensembles — Karajan erreichte damit einen Zuhörer-Zwang, der, was gewiß nicht seine Absicht war, seine Inszenierung glatt zur Nebensache machte.

 

Es gehört zu den schwer verständlichen Zügen Karajans, daß seine musikalische Intelligenz gepaart ist mit künstlerischer Naivität. Denn naiv ist es doch, die von Verdi ohnedies prunkvoll komponierte Triumph-Szene durch die Aufstellung der Trompeter im Zuschauerhaus zu einer schneidenden Klang-Orgie zu machen. Naiv natürlich auch, zu glauben, je monumentaler die Szene, um so großartiger sei der Eindruck. Will Karajan da ein Riese sein? Die gibt‘s doch nur im Märchen und sie sind nicht gerade die Klügsten.

 

Neu im Ensemble: Ruza Baldani als Amneris. Eine attraktive Erscheinung, leidenschaftlich im Ausdruck. Neu auch Ruggero Raimondi als Ramphis. Er sang die Partie mit rauhem Baß, machte dazu ein schrecklich belämmertes Gesicht. Mimik ist nun mal nicht seine Stärke.

 

José Carreras gelang der Radames diesmal stimmlich besser als im vergangenen Jahr. Die Kunst, im Piano vorzutragen, hat er allerdings noch nicht gelernt. Gesangstechnisch blieb er weit hinter Mirella Freni zurück deren Aida mit hochdifferenziertem Ausdruck gestaltet war und die überwältigend schöne Spitzentöne brachte. Piero Cappuccilli: ein heftiger, stimmprächtiger Amonasro.

Beifall über Beifall. Auch für die exzellent musizierenden Philharmoniker und den Chor (Walter Hagen-Groll).
 

Hans Göhl