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Kurier Wien

Andrea Seebohm aus Salzburg

Große Prunkoper und statisches Oratorium zugleich

„Aida“-Reprise unter Karajan


Man kann es drehen und wenden wie man will: Als Herbert von Karajan Mittwoch abend im Großen Festspielhaus mit den Wiener Philharmonikern das Pianissimo-Vorspiel zur "Aida“ begonnen hatte, da wußte man — auf Grund des Klanges, der Phrasierung. des rein spieltechnischen und musikalischen Niveaus — sofort: nun ereignet sich Festspielwürdiges. Außergewöhnliches, in der internationalen Musikwelt Einmaliges. Da spürte man, daß die Salzburger Festspiele eigentlich jetzt erst wirklich eröffnet wurden, daß die beiden bisherigen Premieren lediglich mehr oder minder geglückte Vor-Spielereien gewesen waren.

 

Man mag die inszenatorische Gigantomanie des Triumph-Aktes in Salzburg belächeln, man mag die klanglichen Vervielfältigungen von den Seitenbühnen her — seien es nun die unsichtbaren, aber laut (und nicht immer schön) vernehmlichen Chor-Herren, seien es die dekorativ zu beiden Seiten postierten schmetternden Trompetisten —übertrieben finden. Dem gewaltigen Eindruck dieser pompösen, aber nie gelackten Orientshow entzieht sich keiner. Und außerdem: Natürlich stand Meyerbeer bei „Aida", dieser ägyptischen Prunkoper, Pate.

 

Was leider abhanden kommt im Verlauf dieser Aufführung, ist der menschliche und seelische Konflikt der Verdi-Helden, ist die dramatische Auseinandersetzung zwischen den Figuren. Das statische Spiel, das Regisseur Karajan so liebt, steht da in völligem Kontrast zu seiner tiefen musikalischen Charakterisierung und Emotionalisierung. Wo durch ihn das Feuer der Leidenschaften im Orchester auflodert, wo sich die Starsänger schier die Seele aus dem Leib singen, wird jedes Gefühl, jeder Ausdruck, jeder Liebes- oder Racheschwur sofort wieder relativiert und neutralisiert durch das Fehlen der schauspielerischen Dimension. Kurz: Wenn Karajan die Massen auffahren läßt, ereignet sich große kulinarische Oper — wenn die eigentliche Handlung beginnt, erstarrt alles im Oratorienhaften.

 

Dem Liebespaar Radames und Aida etwa sind keinerlei Zärtlichkeiten gegönnt. Nicht einmal in seiner Todeskammer darf der junge Feldherr seine Geliebte einmal in die Arme schließen. Stur nebeneinander stehend sterben die beiden — kein Blick, kein Händedruck. kein Aneinander-Anlehnen oder Festhalten kündet vom Schmerz, der Verzweiflung, der Verklärung dieses Liebestodes.

 

Als "eitlen militärischen Fachidioten und Meister der gefühlsbetonten Ungeschicklichkeit“ hat Karl Schumann im Programmheft Radames hübsch charakterisiert. Das wäre vielleicht ein Ansatzpunkt für José Carreras gewesen. Doch der spanische Tenor begnügte sich mit der Rolle des traurigen, passiven Liebhabers, trat auf, stand herum und tat gar nichts. In seiner Stimme freilich war Heldisches und Zärtliches zugleich: Carreras ist in dieser Partie seit dem Vorjahr enorm gewachsen. bewältigt sein „Celeste Aida“ souverän, hat Kraft für die Spitzentöne, die vielleicht nicht immer strahlen, aber mit höchstem Ausdruck gesungen werden.

 

Neben ihm wieder Mirella Freni, die wunderbare Aida. Ihr gelang stimmlich einfach alles: Schwebende Piani, strahlende Spitzentöne in den großen Ensembles, tief traurige Ausdrucksschattierungen, innige Legatokultur. Ein herrliches "Nil-C" nicht pianissimo (wer hat das schon?), aber im weichen Mezzoforte gesungen, krönte diese Superleistung. Ruza Baldani ist heuer die Amneris: Im Ausdruck vielleicht etwas zu unbestimmt, in der Gerichtsszene am Ende ihrer Kraft, gefiel sie doch durch schönes dunkles Timbre, gesangliche Souveränität und ideale Erscheinung.

Prachtvoll der Amonasro Piero Cappuccillis, stocksteif der Ramphis, Ruggero Raimondis, passabel der König Agostino Ferrins. Über allem aber Karajan und die herrlich musizierenden Philharmoniker, die Verdis Partitur zum Glühen brachten.