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Salzburger Nachrichten, Aufführung 27. August 1980

Spannung zwischen Dramatik und Vergeistigung

Verdis “Messa da Requiem” Herbert von Karajan leitete das 12.Orchesterkonzert im Großen Haus

 

Über die angebliche “Doppelbödigkeit", ja “Opernhaftigkeit" von Verdis “Messa da Requiem” hat das geduldige Papier manchen Tiefsinn, jedoch noch weit mehr Unsinn ertragen müssen. Im Grunde genommen kaschieren solche Schlagwörter eigentlich nur das Unvermögen, sich von gewissen Klischeevorstellungen über die Vertonung liturgischer Texte zu befreien und das Wesentliche zu erkennen: die unglaubliche Dramatik die in diesen Texten enthalten ist. Dem Dramaturgen Verdi ist es wie selten einem anderen Komponisten gelungen. dieses Wesentliche in kongenialer Weise musikalisch zu formulieren. Daraus ergeben sich für die Aufführungspraxis automatisch zwei extreme Möglichkeiten, die jedoch keineswegs miteinander in Widerspruch stehen. Das reelle Drama des Jüngsten Tages in seiner unmittelbaren, zweifellos theatralischen Wirkung, und das Drama der Seele, das mystische Erlebnis: beides gültige Interpretationen, wobei man zudem nicht vergessen darf, daß die Gattung Oper aus bestimmten Formen der geistlichen Musik entstanden ist.

 

Die Aufführung des Requiems im Orchesterkonzert der Festspiele, Mittwoch im Großen Haus, machte die hier angeschnittene Problematik besonders deutlich. Herbert von Karajan, die Berliner Philharmoniker, die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Chor der Nationaloper Sofia sowie die Solisten Mirella Freni, Agnes Baltsa, José Carreras und Ruggero Raimondi brachten eine Wiedergabe zustande, die bei aller Dramatik und Expressivität ein Höchstmaß an Vergeistigung hatte. Der Maestro verwandelte seinen Lieblingsraum buchstäblich in eine Kathedrale und die ekstatischen Klangwirkungen die er bei sparsamster Zeichengebung vom Aufführungsapparat erzielte, behielten stets ihren sakralen Charakter. Vergleiche mit dem früheren Karajan oder mit der erst kürzlich gehörten Übertragung der von Riccardo Muti geleiteten Aufführung in Verona ließen erkennen, welch extreme Verinnerlichung die Dramatik bei dieser Wiedergabe erfuhr.

 

Zudem hatte Karajan ein Ensemble um sich, das seinen Vorstellungen in jeder Hinsicht gerecht wurde. Die beiden Chöre hatte Walter Hagen-Groll zu einem Klangkörper zusammengeschweißt, der auf Karajans leiseste Andeutungen reagierte, der sich zu einem Flüstern reduzieren ließ (..Requiem aeternam”), den Fugato-Sätzen die Transparenz eines Kirchen -Cantus verlieh und in den “Dies Irae"-Ausbrüchen die Stimmgewalt mit gebändigter Vehemenz hervortreten ließ. Die herrlich klingenden Philharmoniker, im Blech besonders stark besetzt, paßten sich in gekonnter Flexibilität den dynamischen Anforderungen an. Unter den Solisten war Mirella Freni ein Ereignis für sich. Ihre Stimme hat an dramatischer Intensität gewonnen, ohne dabei den lyrischen Zauber eingehüllt zu haben. José Carreras strahlender Tenor gefiel besonders im Lyrischen ("Hostias"). Agnes Baltsa schien nicht in bester stimmlicher Verfassung, vor allem am Anfang (“Liber scriptus"), vermochte sich jedoch später zu steigern. Ruggero Raimondis tadellose sängerische Leistung büßte ihre Wirkung dadurch ein, daß seine Stimmlage dieser Partie nicht entspricht.

 

In Italien wird auch in der Kirche gejubelt. Umso mehr im Großen Festspielhaus zu Salzburg.

 

Edith Jachimowicz