Kurier
Wien, Aufführung 27. August 1980 |
Ein Sopran, die Seele eines Abends |
Von Walter Gürtelschmied |
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Das Verdi-Requiem nimmt in Herbert von Karajans
Stammrepertoire einen besonderen Platz ein. Er dirigiert es sehr häufig mit
nahezu immer denselben Ensembles und in einer dramatisch-opernhaften Pose,
die dem Werk besondere Größe und Inhalt verleiht. Karajan ist ein wunderbarer Dirigent des
Verdi-Requiems, und daher lohnt es sich, bloß einige Details hervorzuheben,
die keineswegs den Grad der Aufführung ausmachen, aber doch irgendwo typisch für Karajans Musiziersti1 sind. Am Mittwoch war im Großen Salzburger Festspielhaus das
Berliner philharmonische Orchester zur Stelle, das unter sichtbarem Einsatz
für einen besonders prägnanten Instrumentalglanz verantwortlich zu machen
ist. Und wenn die nach südländischen Vorbildern orientierten Vorstellungen
von Klangsinnlichkeit nicht unbedingt erfüllt werden, so ist das lange noch
kein Nachteil, denn das virtuose Spiel der Berliner ist in seiner
Geschlossenheit wie in seinen Einzelleistungen in jedem Moment so frappierend
und einnehmend, daß man Karajans Meisterorchester den eigenen Tonfall der
Artikulation wohl zugestehen und überlassen muß. Und will man dann dennoch
Einzelheiten herausklauben, ist unüberhörbar, daß sogar die Berliner Pauken
genauer gestimmt sind als vielfach in Wien. In Berlin scheint man eben zu wissen,
worauf es in letzter Konsequenz ankommt. Karajans zweites Instrument, auf dem es beim
Verdi-Requiem meisterlich zu spielen versteht, Ist der Chorapparat. Diesmal
verbündete sich die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor mit den Gästen
der Nationaloper Sofia zu einer phonstarken Einheit. Denn Karajans
Interpretation der Totenklage ist an einigen Nervenpunkten der Partitur
bereits in Extremwerte abgerutscht. Das “Dies irae" Ist nun schon in einen sehr
schweren blechernen Panzer verpackt, und — auch wieder nur ein Detail — die
zaghaft angesetzte “Sanctus"-Doppelfuge mündet in einem massiven, allzu
deutlichen Aufschrei. klangliche Opulenz kann eben auch übertrieben wirken. Daß schließlich aber in diesem gewaltigen Aufgebot von
Instrumental- und Vokalstimmen sich die Solisten
dennoch gebührend behaupten können, ist ein Zeichen mehr von Karajans
überlegener Klangregie. Deutliche Qualitätsunterschiede lassen sich freilich
aber auch in einem prominenten Solistenquartett nicht verleugnen. Ruggero
Raimondi poltert mit vielen falschen Zwischentönen durch den Baßpart, José
Carreras entpuppt sich einmal mehr als Risiko-Tenor, dem trotz äußersten
Einsatzes das Glück nicht immer zur Seite steht. Dann aber gibt es die nobel
reservierte Altistin Agnes Baltsa und vor allem Mirella Freni. Alles, was in Karajans Deutung des Verdi-Requiems so
hoch klassig vorprogrammiert wirkt, straft sie Lügen. Sie schafft mühelos den
verinnerlichten Ausdruck und ist nebenbei das Stimmwunder des Abends. Also
doch — gerade in diesem Punkt — ein außergewöhnlicher Abend. |
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