Neue
Züricher Zeitung, Aufführung 26. Juli 1979 |
Eröffnung mit «Aida» |
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Zum erstenmal seit Bestehen der Salzburger Festspiele
ist Giuseppe Verdis «Aida» auf dem Programm. Italienische Oper gehörte an und
für sich nicht zu den Wunschbildern ihrer Gründer. Weder Max Reinhardt noch
Hermann Bahr oder Hugo von Hofmannsthal hatten zu Verdi eine
geistig-konstitutive Beziehung wie etwa Franz Werfel. Nur wo der Genius loci
Wolfgang Amadeus Mozarts die Brücken zwischen nördlichem und südlichem Geist
schlug, sind Oper und Singspiel Salzburgs sommerlichem Lustbarkeitsreigen
gemäss. Freilich hatte längst Herbert von Karajan die
Schlagbäume für den «Troubadour» geöffnet, hatten Dirigenten wie Nello Santi
und Wolfgang Sawallisch andere Verdi-Opern wie «Don Carlos» und «Macbeth»
nach Salzburg gebracht. Der Streit darüber, ob das dem vielberufenen und
schwer definierbaren Geist der Festspiele entspreche, geht weiter. Und als
unlängst die österreichische Presse um die fällige Nachfolge des
Festspiel-Präsidenten Josef Kaut eiferte und den bald siebzigjährigen Rolf
Liebermann zur Verjüngung des Betriebs nominierte, war man sich uneins, ob
Vielfalt oder Eingrenzung den Festspielen fromme. «Aida» ist das Glanzstück des musikalischen Exotismus.
Aegyptische Motive und Arabesken im genauen Wortsinne hatte es zwar bei
Mozart in zwei deutsche Singspielen gegeben: in der «Entführung» und der
«Zauberflöte». Doch standen beide ausserhalb von Aktualität und Tagesbezug.
Verdis geniales Spätwerk, achtundzwanzigste seiner zweiunddreissig Opern, ist
von Anbeginn in Zeitgeschichte verwoben. Auftragswerk des Khediven Ismael
Pascha, sollte sie das neue Opernhaus in Kairo eröffnen. Verdi, anfangs gar
nicht entzückt von dem hoch dotierten Auftrag, arbeitete pünktlich. Doch als
1870 die Partitur fertig war, lagen die Dekorationen in dem von preussischen
Truppen belagerten Paris. Die Premiere, als Weltereignis seit langem
ausverkauft, fand schliesslich am 24. Dezember 1871 mit superlativischem
Erfolg statt, den allerdings einige Kritiker dämpften. Als Herbert von Karajan vor gut drei Jahren die
Salzburger «Aida» vorausplante, konnte er nicht wissen, welche zusätzliche
Aktualität das Werk durch die Ereignisse im Nahen Osten erhalten würde.
Gewiss ist Anwar as-Sadats Aegypten nicht das der Kalifen und Khediven. Doch
Konflikte zwischen persönlichem Schicksal und hypertrophem Nationalgefühl,
wie sie (nach Camille du Locles französischem Entwurf) Antonio Ghislanzoni
mit Verdi zum Meisterlibretto formte, sind dem Geist des Nilvolkes eng
verbunden. Hinter dem unverkennbaren Werkstil der «Aida» treten
nicht nur evidente Einflüsse Wagners, sondern, auch Verdis wechselnde Idiome
weit zurück. Beschränken sich die exotischen Volkstöne auf spezifische
Halbtonklammern und übermässige Sekundschritte, so fällt in den Hauptthemen
und Motiven die steigende melodische Tendenz auf. Italienische Spezialisten
haben in der «Aida»-Musik die Rückkehr zur «Cabaletta» der Frühwerke
gefunden, den präzis begrenzten Arien und Liedern. Karajan entwickelt das
ganze Werk aus diesen geschlossenen Kleinformen. Mit dem Pianissimo der
ersten Geigen ist im Andante mosso des Vorspiels Aidas zartes exotisches
Mädchenbild definiert, und fortan summieren sich die Tonsymbole jeder Figur,
vom gnadenlosen Oberpriester Ramphis bis zum besiegten König Amonasro, bevor
alle Personen der Tragödie sich im grossartigen zweiten Finale vereinen. Die Kunst des Dirigierens hat seit Toscanini und
Furtwängler einen Aufstieg genommen, den man vor 50 bis 60 Jahren nicht ahnen
konnte. Daran hat nicht allein die Perfektion der Orchester teil, sondern
auch die Technik der Aufzeichnung mit ihren Möglichkeiten des Vergleichs.
Karajan ist heute ein Synonym für diese Kunst. Er hat ganze Welten der
Dynamik, vor allem in den extremen Lautstärken, entdeckt —nicht immer zum
Vorteil seiner Schallplatten. Die Salzburger «Aida» gibt davon ein
überzeugendes, bisweilen überwältigendes Bild. Dem nun auch raumakustisch
verbesserten Grossen Festspielhaus mit seinen geheimnisvollen Schallnischen
und Wandvorsprüngen wird das Spektrum der Lautstärken gleichsam
eingeschliffen. Dabei unterwerfen Karajans modellierende Hände sich die
erstaunliche Flexibilität der Wiener Philharmoniker mit
ihrem edlen Streicherklang ebenso wie die Sänger des Wiener Staatsopernchors,
des Chors der Nationaloper Sofia und des Salzburger Kammerchors. Aus ihren heterogenen Bestandteilen ein
hundertstimmiges Ensemble zu formen war der oft bewährten Meisterschaft Walter
Hagen-Grolls gelungen. Auch das Orchester ist — dem Willen des von
Wagner tief beeindruckten Verdi
gemäss —stark besetzt. Dennoch war der musikalische Gesamteindruck beherrscht
von einigen Solistenleistungen. Nach den Maßstäben, die
Maria Callas und Leontyne Price setzten, muss jede Sopranistin um eine
Wiedergabe der Aida im Blickpunkt Salzburgs bangen. Mirella Freni, beglückende Sängerin des lyrischen Fachs von Puccinis Mimi bis
Verdis Desdemona, hat alle Skepsis besiegt, der ihr Vorstoss in die
Hochdramatik der äthiopischen Prinzessin begegnete. Noch am Vortag der
Premiere indisponiert, stand sie vom strahlenden «Ritorna vincitor» der
Romanze über die Auseinandersetzungen mit Amneris und Vater Amonasro bis zum
Todesduett so souverän im Ensemble, dass immer wieder Beifall den Ablauf der
Handlung unterbrach. Die Leuchtkraft ihres hohen G, B und C war so makellos
wie die satte Färbung ihrer tiefen Register. Ohne schauspielerisch viel
Wesens von der Rolle zu machen, erfüllte sie sie doch auf eine verinnerlichte
Art. Nach Marylin Hornes Duett mit Radames im ersten Bild
hoffte man eine Amneris vom Rang der Fedora Barbieri oder Grace Bumbry zu
erleben. Doch die Leistung der (auch äusserlich wenig attraktiven)
Kalifornierin liess an Wohlklang und Intonation, schliesslich auch an
Einfügung in das Ensemble etwas nach, so dass im vierten Akt nur ein
rundlicher Schatten der Pharaonentochter neben dem siegreichen Radames
agierte. José Carreras war mit seinem weich und meisterlich geführten Tenor
der doppelt geliebte Sieger, stimmlich in der Romanze sicherer als in der
Todesgewissheit des letzten Bildes, bis im Ges-Dur-Zwiegesang mit Aida die
Stimme noch einmal ihren Zauber ausgoss. Wie ein gewaltiger Yul Brynner vertrat Nicolai
Ghiaurov als kahlköpfiger Ramphis die Sache hohepriesterlicher
Unversöhnlichkeit: sein Bass hat an Fülle und Schönheit in Jahren stets
gewonnen. Als Amonasro zeigte Piero Cappuccilli wieder die ganze Skala seiner
darstellerischen und sängerischen Möglichkeiten, während Ruggero Raimondi als
König bei intakter Stimme eher anonym wirkte. Als Bote zeigte Thomas Moser
seinen klangvollen Tenor. Marjon Lambriks war als Priesterin anfangs offenbar
ohne Kontakt mit dem Orchester und sang einen guten Viertelton zu tief. Karajans Bühnenbildner war wie fast immer Günther
Schneider-Siemssen. Er hatte, dem Konzept der Inszenierung folgend, die
Szene weit in den Zuschauerraum vorgezogen und eine Reihe effektvoller Bilder
gestellt, in denen Symmetrie und Pyramiden-Trapeze vorherrschten. Ein Hang zu
Uebermass und Pointenhäufung, den man von anderen Regietaten Karajans kennt,
beeinträchtigte manche Bilder, namentlich den Triumphzug des zweiten Finales.
Da standen rechts und links pyramidenartige Türme mit schwindelerregend
postierten Chorsängern und schließlich breiteten sich große Vogelschwingen
vor dem thebanischen Tor. Wunderlich schien im Gemach der Amneris ein
Swimmingpool mit badenden Schönheiten; effektvoll, doch übertrieben die
Aufstellung von zwölf der berühmten Aida-Trompeten in Logen des Proszeniums.
Bildlich am überzeugendsten glückte der Nilakt mit dem mächtigen Strombogen,
den silbrig mondbeschienenen Palmen, einem riesigen Isisstandbild und links
einer Rampe. An ägyptischen Symbolen darf es keine «Aida»-Inszenierung fehlen lassen. Als Verdis Werk für
die Berliner Hofoper geplant wurde, empfahl Wilhelm II. dem
Generalintendanten, die Aegyptologen der Universität als Berater zu
verpflichten. Karajan, der wissenschaftsgläubige, hat sicher ähnliche Hilfsmittel erwogen und benutzt. Am spürbarsten haben Georges
Wakhevitchs Kostüme davon profitiert, in denen die nationalen Gegensätze
Aegyptens und Aethiopiens oft dramatische Formen annehmen. Die Tänze sind allemal ein schwieriges Stilproblem in
«Aida». John Neumeier hat sie auf konventionellere Art gelöst, als man
von ihm erwarten konnte. Dem grossen Aufgebot von Tänzern des Wiener Staatsopernballetts prägte er
seinen künstlerischen Willen namentlich in den kurzen Szenen der Mohren auf,
wogegen die Reigen ägyptischer Mädchen die grosse Bühne auf nicht sehr
originelle Weise füllten und räumten. Natürlich war es ein «grosser Abend» mit Ovationen für
Karajan und alle anderen, mit Bis-Rufen und auf die Bühne geworfenen Blumen
für die Freni. Ein Publikum aus Ländern aller Herren, namentlich Italien und
Frankreich, glänzte durch fast schon beängstigende Eleganz und seinen
Juwelenluxus der weit dekolletierten Damen, wie man ihn selbst in Salzburg
kaum je erlebt hat. Doch auch künstlerisch hat die festliche Eröffnung eine
Reise gelohnt. |
H.H. Stuckenschmidt |