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Süddeutsche Zeitung, Aufführung 26. Juli 1979

Zuwenig Liebe und Leidenschaft

Nur Lyrisches und Kolossales in Karajans Aida-Neuproduktion

 

Das fing ganz wunderbar an, blähte sich dann aber zu grellem ägyptischem Staatstheater auf, wurde im dritten Akt wieder menschlich und schön, um mit einem sonderbaren Versenkungstod zu enden.

 

Nun geht kein Mensch in eine “Aida”-Aufführung, um über Bühnenbilder und altägyptische Rituale nachzugrübeln. Auf die Stimmen kommt es an, auf den Glanz und die Vehemenz der vorgeführten Leidenschaft, der Chöre, der Staatsaktionen, des Priesterstarrsinns. Wenn Verdi da Genüge geschieht, wenn also die Tutti-Ausbrüche nicht bloß bombastisch sind, sondern auch stürmisch, gefährlich und frei, wenn die Solisten idealisch und charakteristisch vortragen, was ihnen die Partitur auf die Lippen und ins Herz legt, dann wird Verdis “Aida” immer ein Opernfest sein — auf das der abgebrühteste ‚Fachmann‘ genauso erregt-bewegt reagiert wie jeder vernünftig aufgeschlossene Laie.

 

Jene vielbespöttelten, unvermeidlichen Grand-Opera-,Aida‘-Schwächen, daß also der Triumphmarsch mit, oder ohne Elefanten stets etwas drollig ausfällt, daß normale Sterbliche, falls sie verurteilt sind, als Gefangene in einem Kellergewölbe zu krepieren. dies ohne hold-optimistisches Ges-Dur-Duett täten, daß Tempeltänzerinnen wie gelangweilte Ballettratten und Pharaonentöchter wie Generaldirektors-Gattinnen schreiten: alle diese kaum vermeidbaren Einschränkungen tun im Falle großen Musikausdrucks kaum etwas zur Sache. Sind sogar “liebe Not”, machen Rührung oder Affekt kaum kaputt. Im Gegenteil. Wer weiß, ob eine völlig logisch genaue, piekfeine, von aller Theaterschmiere und -übertreibung freie "Aida”-Aufführung nicht sogar ungut steril wäre...

 

Es kommt also nicht darauf an, daß bei einer “Aida”-Darbietung die Inszenierung und das Bühnenbild sich makellos hochmodern und bis ins letzte sinnvoll ausnehmen. Alles hängt vielmehr davon ab, ob sich ein opernhaft-dramatisches Parallelogramm der Kräfte herstellt. In den großen Massenszenen des ersten und zweiten Aktes hat Verdi auskomponiert, was damit gemeint ist: Da sind die wahrhaft herrlichen (unvermeidlicherweise populär abgenutzten) Riesen-Chorsteigerungen. Sie wären weiß der Himmel genug: Aber unter- und oberhalb ekstatischer Chor-Massivität müssen die Solisten genauso dringlich zum Ausdruck bringen, was sie hoffen, fürchten, wollen... Dabei dürfen die Chöre nicht zahm und die Solisten gewiß nicht nur gerade noch sauber vernehmbar sein. Sonst stimmt das Parallelogramm der Kräfte nicht, und die Aufführung besteht nur noch aus mehr oder minder schönen Einzelheiten, aber aus keiner Einheit.

 

Solisten blieben unscheinbar

 

Herbert von Karajan. dem verantwortlichen Dirigenten und Regisseur, gelang dieses klingende Kräfte-Parallelogramm nicht. Wie die Aufführung im Rundfunk oder auf Platten wirkt, wo alles akustisch überstarke Unmaß wie von selbst reduziert erscheint, kann man als Salzburger Premierenzeuge nicht beurteilen. Im Großen Festspielhaus jedoch machte der Chor, der überstarke Klang von Verdis “Aida-Trompeten einen derart hohen Forte-Grad zur Norm, daß die Solistenstimmen im Erregungsausdruck relativ unscheinbar blieben. Sogar der Glanz selbst schuf Stumpfheit: Wenn nach dem großen As-Dur-Trompetenthema die Marschmusik plötzlich ins brilliante H-Dur gerückt wird, wie könnte, müßte das leuchten! Aber was vermag die Höchststrahlung zu überstrahlen?

 

Hinzu kam, daß Karajan — souverän führend, mitatmend, Strukturen darlegend — die Musik dabei weniger erhitzt-stürmisch versteht als affirmativ-monumental. Man bewunderte, ohne mitgerissen zu sein.

 

Das soeben Gesagte bezieht sich auf die Glanz-Finali, die kolossal wirkten, aber nicht dramatisch, die ein Tongebirge schufen, demgegenüber die Solisten verzwergten. Leider aber

hatte auch die Besetzung der beiden weiblichen Hauptrollen darüber hinaus eine antidramatische Konsequenz.

 

Mirella Freni gehört zu den großen Puccini-und Verdi-Sängerinnen unserer Zeit. Sie besitzt auch das Forte, erreicht ein sicheres, leuchtendes Nil-C (im dritten Akt). Doch primär empfindet diese Künstlerin lyrisch (was hier wirklich nicht heißt: sentimental). Wo sie innig sein darf, zart, leidend: da kommt sie herrlich zu sich selbst. Im Ausbruch, im aktiven Forte jedoch wirkt die Stimme neutral. Mirella Freni kann dramatisch singen, aber daß sie es tun will, daß sie es aus der Situation tun muß: das macht sie nicht klar. Und weder der Dirigent noch der Regisseur Karajan verlangten es ihr ab. Also eine Aida, die hauptsächlich im Piano bewegend war, weshalb die Flucht-Traum-Momente des dritten Aktes und das Ende ihrer großen Arie zu Höhepunkten wurden.

 

Ihr gegenüber hörten wir eine Amneris (Marilyn Horne), die weder Eifersucht noch überhaupt Leidenschaft darzustellen vermochte. Sie führte eine reine Belcanto-Stimme vor. Brigitte Fassbaender war in München — wo das Gegeneinander Aida, Amneris unvergleichlich fesselnder herauskam — vielleicht beim Charakterisieren des Schmähenden, Höhnischen, Haßvollen einen Schritt zu weit gegangen als singende Intrigantin. Die Salzburger Amneris jedoch wollte überhaupt nur wohllautende, ruhige Töne von sich geben. woran sie eine Indisposition möglicherweise auch noch ein wenig hinderte. Wir vernahmen immerhin eine bemerkenswerte Tiefe und eine etwas monotone Höhe.

 

Ein manchmal schmetternder, nicht völlig sicher intonierender José Carreras als Radames, ein im Forte eher blaß gewordener Nicolai Ghiaurov als Ramphis, ein ausdrucksstarker Piero Cappuccilli als Amonasro und immerhin ein Ruggero Raimondi als König — Stimmbesitzer solchen Ranges hätten in jedem anderen Opernhaus noch weit besser Figur gemacht als auf der Salzburger Breitwandbühne und im Schatten Karajanscher Kolossalität.

 

Wobei sich freilich die Frage stellte, ob nicht von Günther Schneider-Siemssens Bühnenbildern ein Zwang zum Kolossalischen ausgeht. Die Riesensäulen des ersten Aktes wirkten drohend und monumental-stählern, also keimfrei, neoägyptisch. Da legte sich die Vermutung nahe, Mussolini hätte vielleicht doch in den dreißiger Jahren Ägypten besiegt, und wir sähen nur ägyptisches Staatstheater im Geist der Zeit. Dieser Eindruck wurde gewiß modifiziert, als bei Amneris junge Frauen möglicherweise türkisch badeten oder tanzten, aber er stellte sich ehern wieder her beim Triumphmarsch, wo das Volk teils wohldiszipliniert marschierte, teils die handgreiflich nahen Pyramiden bis obenhin besetzte.

 

Das Nil-Bild war schön und auffällig gebirgig die Sterbeszene, des letzten Aktes begann in Karajans Inszenierung und in dem die Amneris vom Gerichtsvorgang ausschließenden (sie aber gleichwohl beteiligendem Bild klug. Doch daß man am Ende die Eingeschlossenen im engem Rahmen wie auf einer Fernsehmattscheibe ruhig nebeneinanderher singend erblickt, daß sie —statt sich weltentrückt dem Himmelsblau zu nähern — tatsächlich langsam, aber unsicher versinken, daß sie sich bei alledem offenbar überhaupt nicht liebten, sondern immer nur richtig singen wollten: es war seltsam, kühl, leidenschaftsfern.

 

Nun hat es keinen Sinn, dem genialen Musiker Herbert von Karajan — wunderbar ruhig manchmal wie von einem italienisch archaisierenden Brahms komponiert erklang das Vorspiel, klug disponiert hörte man in den Finali die Klangebenen, ganz frei durften nicht nur die Gesangssolisten, sondern auch die Solo-Flöte und die herrliche Oboe atmen, poetisch kam das Piano — vorzuwerfen, daß er (wenn es nicht gerade um “Rheingold” oder “Siegfried” geht) immer nur teils naiv, teils phantasiearm inszeniert. Verdi-Regie ist ja nicht sein Metier. Aber etwas Unsinnigeres als die im Stehen rhythmische Gehbewegungen vollführenden Triumphmarsch-Figuranten, etwas in jeder Weise Spannungsloseres als das erste Terzett, etwas Blasseres als den Liebestod kann man sich schwerlich ausmalen. Und wer gehofft hätte, ein Profi wie der vielumworbene John Neumeier würde endlich einmal eine professionelle “Aida”-Choreographie bieten, der wurde auch enttäuscht. Entweder Neumeier hielt die ganze Unternehmung für sinnlos oder er hielt es für überflüssig, sich dazu etwas einfallen zu lassen.

 

Dies also war‘s: Zwischen herrlich lyrischen Momenten und monumentalen Übertreibungen erschienen kaum Menschen oder Temperamente. Es war, als ob Herbert von Karajan, der Hochsensible, meine, wenn es nicht ganz fein sei dann müsse es gleich eine martialische Show werden. Doch auch eine Show will gekonnt und zumindest phantasievoll-bunt sein! Das Publikum hielt sich beifallsfroh ans Schöne, und der Schlußapplaus hielt sich in Grenzen.

JOACHIM KAISER