Presse,
Wien, Aufführung 26. Juli 1979 |
Ein Dirigent erfüllt
sich seinen Traum |
Verdis
“Aida”, dirigiert und inszeniert von Herbert von Karajan, zum Auftakt der
Salzburger Festspiele |
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Herbert von Karajan hat sich seinen Wunsch erfüllt. Mit allem seiner
Ansicht nach gebotenen Pomp hat er nach so vielen Jahren endlich
wieder Aida im Repertoire — also im Großen Festspielhaus zu
Salzburg, dem Haus, wo er uns alles so zeigen kann, wie er es immer schon
wollte und wie es ihm die Zustände oder die Umstände früher
einmal verwehrten. Für diejenigen, die Karajans lange Wiener Zeit nicht
verfolgen konnten oder nicht mehr so genau im Gedächtnis haben: Giuseppe
Verdis “Aida” war ihm immer eine besonders geliebte Oper, er dirigierte sie
bei vielen großen Gelegenheiten, zumeist, wenn er sich nach innerem —oder
besser, nach sehr äußerem —Ringen entschlossen hatte, wieder in der Oper ans
Pult zu kommen. Seine Verehrer wie seine Gegner zitierten seinen Entschluß
dann immer als Wunsch oder Tatsache. “Als Sieger kehre heim.” Wer sich der szenisch unzulänglichen,
vielfach geflickten und von Bild zu Bild veränderten Aufführung erinnert, die
da immer zu Triumphen des Dirigenten herhielt, der begreift, daß sich Karajan
irgendwann noch einmal eine andere, eine schönere, eine seinen Intentionen
entsprechende Realisierung wünschte — so viele Jahre seines Lebens “lieferte”
er nur die Musik, wie er das nannte, so lange konnte er nicht durchsetzen,
daß von all den Komponenten eines Theaterabends alle, wirklich alle von ihm
gesteuert wurden. In Salzburg kann er das. Jedermann und jedes Ding hören auf
sein Kommando. Und so ist diese “Aida”, mit der die Festspiele 1979
eröffnet wurden, ganz und gar nach seinem Geschmack und daher auch von Beifall
umtost, denn sein Geschmack ist, auf einem manchmal sehr hohen Niveau, ja ein
Allerweltsgeschmack, etwas, woran man sich schwer reiben kann, ein
sündteurer, schmetternder, in alle Poren dringender Geschmack, beinahe
unantastbar wie der reicher Leute — von Innenarchitekten vorhersehbar, von
klugen Geschäftsleuten nachvollziehbar. Er manifestiert sich in Günther Schneider-Siemssens
breitestem aller breiten Bilder, auf dem zu bewundern ist, was nur immer
irgendwann als ägyptisch “zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen” gelten kann
— wer das Museum in Kairo gesehen hat, der hat alle Details dieser Bühne
gesehen, freilich auch nicht vorteilhaft angeordnet, seit Jahrzehnten wollen
die Ägypter schon Ordnung in ihr Sammelsurium bringen. Sie spüren, daß da
zuviel zu unbedacht gestapelt ist. Schneider-Siemssen begreift‘s für seine
Bilder leider nicht. Er baut einfach alles, Gewölbe, Kammern, Pyramiden,
alles hat große Dimensionen und läßt, das hat er wirklich heraus, die Bühne
nicht flach wirken. Nicht die Bühne, nur seine Bilder, die selbst dann nicht
zur Bewunderung herausfordern, wenn sie wirklich Sinn haben: Radames wird
zuletzt in einem Felsgrab eingemauert, es ist eng und stickig, wie es sein
soll, und der Sand soll es zuwehen. Der ewige Sand Ägyptens. Weil Schneider-Siemssen
dieses Grab während des ergreifenden Schlußduetts aber versinken läßt,
beschwört er unzulässige Assoziationen und nicht den Eindruck des ewigen
Liebestodes herauf. Ein Kasten geht unter, wo sich das Schicksal zweier
Menschen erfüllen soll. Karajan und Schneider-Siemssen ordnen ihrer Kenntnis,
wo man im großen Salzburger Haus noch Dekors und Menschen sichtbar oder
unsichtbar anbringen kann, alles andere unter. Womit wir bei der musikalischen
Ausdehnung dieser Inszenierung wären. Da läßt sich der Dirigent Karajan vom
Ausstatter und den Möglichkeiten immer wieder zu absurden Dingen verführen,
läßt aus den sogenannten Lamellen der Seitenbühnen unsichtbar Priester dröhnen,
wenn eine überschaubare Menge von kaum mehr als zwanzig auf der Bühne steht.
Da verdoppelt er die Bühnenmusik, als hätte er eine Arena mit Klang und
Gloria zu füllen. Da mischt er scheinbar raffiniert, doch im Grunde wenig
plausibel, Stimmen aus dem Hintergrund natur, Stimmen über Lautsprecher,
Stimmen auf der Bühne und Vervielfachungen, die für den Hörer gleichsam von
überallher kommen. Das ist, als würde er Quadrophonie dort anstreben, wo man
sie gewiß nicht braucht, weil man ja in einem Opernhaus sitzt und einmal
nicht vor Maschinen. Das wäre das letzte notwendige Stichwort. Karajan hat
eine Besetzung, die manchmal glorios, dann wieder fatal an die einer
Schallplattenaufnahme erinnert. Mirella Freni, herzergreifend als Aida, singt
ihre Partie an einem einzigen Abend an der Grenze ihres Leistungsvermögens.
José Carreras, vielbewundert, wechselt Im Lauf des Geschehens mehrfach das
Timbre — mir gefiel‘s im zweiten Teil des Nilaktes außerordentlich, da
erinnerte er an sein erklärtes Vorbild Giuseppe di Stefano. Marilyn Horne,
ungünstig als Amneris, müßte Mikrophonhilfe haben, um königlich über die
Orchestermassen zu kommen. Nicolai Ghiaurov, luxuriös als Ramphis, ist in der
ihm fremden Partie auf der Bühne seltsam ungefährlich. Lediglich Piero
Cappuccilli als Amonasro und Ruggiero Raimondi als König gehören in die
Kategorie, die sich Karajan immer wünscht: Luxus. Die Philharmoniker spielten die ersten Takte so
unverwechselbar schön, wie sie das Vorspiel zu “Lohengrin” musizieren, und
wurden dann oft so grob, wie Karajan es verlangt. Die vereinigten Chöre aus
Wien, Sofia und Salzburg brachten Masse ein. Tänzer der Wiener Staatsoper
zeigten, daß auch einem als Genie bezeichneten Mann wie John Neumeier keine
Choreographie zum Triumphakt einfällt. Auf den obersten Stufen der Pyramiden
wurde da einigen Komparsen aus mehreren einsichtigen Gründen schlecht. Aber
so ist das, wenn man geladen wird, den Wunschtraum eines hervorragenden
Dirigenten zu erleben, der sich ihn ganz und gar allein erfüllt. Da bleiben
dann einige der Wünsche, die man selbst mitbringt, unerfüllt. Jubel. Er brach
einige Male voreilig los, wurde einmal vom Dirigenten ausdrücklich provoziert
und war zuletzt gut instrumentiert. Für einige Sommer wird Karajans “Aida”
—richtig, man darf ihn als Coautor bezeichnen — ein richtiger Anziehungspunkt
der Salzburger Festspiele sein. |
Franz Endler |