Kurier Wien, Aufführung 26. Juli 1979 |
Musikalisch ein Festspiel |
Giuseppe Verdis “Aida”, von Karajan inszeniert und
dirigiert, zum Beginn |
Karl Löbl aus Salzburg |
Falschen Pomp jeder Art, gesellschaftliches
Spektakel mochte Giuseppe Verdi nicht. Der Uraufführung seiner “Aida”, 1871
in Kairo, blieb er darum auch fern. Trotzdem komponierte er eine pompöse
Spektakelszene wie den Triumphakt. Dieser Widerspruch (so etwas wie eine
Falle für jeden “Aida”-Regisseur) wurde auch von Karajan in Salzburg nicht
aufgeklärt. Mit einer Neuinszenierung von
Verdis “Aida” sind die Salzburger Festspiele 1979 am Donnerstag künstlerisch
eröffnet worden. Für eilige Leser: Es war eine
musikalisch grandiose, szenisch achtbare Aufführung mit Karajan in der nun
schon seit Jahrzehnten gewohnten Doppelfunktion. Wo die Versuchung zum
szenischen Kitsch im Stück liegt, ist auch er ihr nicht ganz entgangen. Sie liegt in der sogenannten Triumphszene. Giuseppe Verdis Neigung zur
Mythologie, zum Exotischen, zur Entfaltung szenischen Prunks war gering.
Letzteren verabscheute er, und daß der Siegesmarsch des ägyptischen Heeres
fatal nach Meyerbeer schmeckt wußte der Komponist. Er ließ sich seine
Abneigung auch gut honorieren: 150.000 Francs, das höchste bis dahin bezahlte
Opernhonorar halfen Skrupel zu beschwichtigen. Was nicht heißen soll, Verdi
habe sich die Sache leicht gemacht. Nur: Auftraggeber war der ägyptische
Staat. Anlaß zur “Aida” waren Suezkanal-Eröffnung und Neubau eines
Opernhauses in Kairo — die patriotische Demonstration war nicht zu vermeiden. Und so präsentiert sich “Aida” —
deren Uraufführung Verdi übrigens fernblieb, weil er Spektakel nicht mochte —
bis heute als höchst widersprüchliches Werk: Dem oberflächlichen Betrachter
gilt sie als typische Prunkoper, aber in Wahrheit ist sie ein eher intimes
Stück. Denn die Handlung schildert menschliche Beziehungen und Konflikte;
die: Massenhysterie des Triumphaktes wirkt zwar theatralisch efektvoll, aber
als Einschub. Verdis Interesse Man spürt: Verdis Interesse galt
den Menschen, das seiner Auftraggeber dem Staatsakt. Weil ein solcher ohne
militärischen Prunk und Siegerpose — die auch musikalisch vorgegeben sind —undenkbar zu sein scheint, gerät
allen “Aida”-Regisseuren diese Szene zum mythologischen Parteitag. Und weil
dieser in ägyptischer Vorvergangenheit spielt, wird stets ein
Völkerkundemuseum bemüht, um zu suggerieren, man befinde sich unter
Pharaonen. Gemessen an dem gräßlichen Kitsch,
den man bei den letzten “Aida”-Produktionen in Wien, München und Verona über
sich ergehen lassen mußte, bleibt Karajan ohnedies dezent. Flankiert von zwei
Menschenpyramiden (in deren schwindelnder Höhe auch prompt zwei Statisten
zusammenbrachen) wird auf leerer Bühne verhältnismäßig wenig marschiert,
wenig zelebriert —aber immer noch genug, um mit Feldzeichen, angewandter
Ägyptologie und Opernpomp Kitsch zu erzeugen. Wozu auch das Ballett (John
Neumeier hat es choreographiert) beiträgt: Man könnte es, wie immer in dieser
Szene, ohne Schäden ersatzlos streichen. Ansonsten ist Karajan als
Regisseur erfreulich dezent geblieben. Sein Hang zum Dekorativen, begünstigt
durch Günther Schneider-Siemssens gefällige Breitwand-Bühnenbilder, ist
ausgeprägter als seine Neigung menschliche Konflikte szenisch zu schüren. Das
weiß man nun schon — und ist daher auch nicht überrascht wenn man da und dort
mehr szenisches Arrangement als theatralische Logik zu sehen bekommt. Aber es gibt eine hübsche
verspielte Badeszene am Rand des Amneris-Gemaches (ähnliches sah ich schon in
Rom), eine sichtbare und nicht in den Keller verlegte Gerichtsverhandlung
(gleiches ließ sich auch Wieland Wagner in Berlin einfallen), eine
geheimnisvoll-düstere Tempelszene — und vor allem immer wieder herrlichste
Musik. Womit wir beim eigentlichen Festspiel wären. Die Besetzung dieser “Aida” ist
heutzutage wohl konkurrenzlos: Chöre der Wiener und Sofioter Oper. Wiener
Philharmoniker und sechs Weltklassesänger ergeben ein Ensemble, das verständlich
macht, warum Karajan dieses Stück in Salzburg aufführen wollte. Denn wenn
Festspiele in dieser Stadt bringen sollen, was anderswo in ähnlicher Qualität
nicht machbar ist — dann ist “Aida” hier durchaus vertretbar. Das Orchester kultiviert unter
Karajans Leitung die hohe Kunst, den Sängern flexibler Partner zu sein und
trotzdem Rhythmus, Dynamik und Farbeffekte laut Partitur zu realisieren. Die
Wärme der lyrischen Stellen, die Kraft und Härte der
dramatischen Ausbrüche, die genießerische Breite, in der
Karajan zuweilen impressionistischen Valeurs Raum gibt — all das summiert
sich zu einer Wiedergabe, in der ein ganzes Musikerkollektiv Solistenrang
einzunehmen imstande ist. Fabelhafter Chor Gleiches gilt vom Chor: Präzision,
gewaltiges Klangvolumen und Verstärkung vor allem der tiefen Männerstimmen
durch die Herren aus Sofia. Fabelhafte dynamische Differenzierung und ein
Höchstmaß an klarer Artikulation machten großen Eindruck. (Die Unterstützung
sichtbarer Chöre durch seitlich postierte unsichtbare war akustisch
vorteilhaft, aber nicht immer logisch.) Bei den Solisten galt das
Hauptinteresse naturgemäß den beiden Rollendebütanten. Mirella Freni, stimmlich makellos,
berührt, wie immer, durch die Innigkeit, mit der sie Liebesgefühle
vorzutragen imstande ist, Ihrer Aida mangelt es auch nicht an Attacke, an
Kraft bei Spitzentönen. Dominierend ist jedoch der Eindruck einer
wundervollen Phrasierung, einer totalen Hingabe an Melos und lyrische Momente
der Rolle. José Carreras ist ihr — gerade ihr
— ein idealer Partner. Denn Radames legitimiert sich ja schon in seiner Arie
“Celeste Aida” als Schwärmer, nicht als Held —und Carreras kehrt folgerichtig
mehr den Liebhaber hervor, weniger den Sieger. Auch bei ihm hat man den
Eindruck, Singen sei eine Sache des gesteigerten Ausdrucks, des sensiblen
Empfindens — und nicht bloß schöne Tonproduktion nach Noten, obwohl auch
diese Genuß bereitete. Marilyn Horne singt mit etwas
kühler, metallischer, expansiver Stimme eine offenbar herrschsüchtige, also
rollendeckend gestaltete Amneris, Piero Cappuccilli einen imposanten Amonasro
in der rechten Balance zwischen kriegerischer Rauheit und väterlicher Wärme.
Ruggero Raimondi orgelt den König, bleibt aber unbeteiligt. Sehr im Gegensatz
zu Nicolai Ghiaurov: Dessen Ramphis ist der Beweis, daß man auch aus einer
angeblichen Episode eine Zentralfigur machen kann. Es bedarf dazu keiner
Aufdringlichkeit, sondern Persönlichkeit und Gestaltungskraft. Ghiaurov
besitzt beides und eine herrliche Stimme dazu. Großer Premierenerfolg,
Ovationen vor allem für die Freni. |
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