Berliner
Tagesspiegel, Aufführung 26. Juli
1979 |
Ein Fest schönster
Stimmen |
Salzburger
Festspiele mit “Aida” unter Karajans Leitung eröffnet |
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Schon bei der Uraufführung von Verdis “Aida” am 24.
Dezember 1871 sollen im Triumphzug des zweiten Finale “3000 Eingeborene und
echte Sklaven” über die Bühne des Opernhauses zu Kairo gezogen sein. Der
ursprüngliche Anlaß zu dem Komponistenauftrag des ägyptischen Khediven Ismael
Pascha an den italienischen Komponisten war die Weihe eines
völkerverbindenden technischen Bauwerkes, des Suez-Kanals, der allerdings
bereits zwei Jahre zuvor in Gegenwart höchster Potentaten feierlich eröffnet
worden war. Es ging darum, den Anschluß des orientalischen Staatsgebildes an
die europäische Kultur zu dokumentieren und zu befördern, und man hatte keine
Mittel gescheut, den berühmten Komponisten für das repräsentative Vorhaben zu
gewinnen. Die erste Anfrage lehnte Verdi mit den Worten ab, es sei nicht
seine “Gewohnheit, Gelegenheitsstücke zu komponieren”, Als es jedoch dem
Sekretär der Pariser Grande Opera, Camille du Locle, einem Freund des
Komponisten, gelang, mit Hilfe eines namhaften Ägyptologen Verdi einen
brauchbaren Textentwurf nahezubringen, entzündete sich dessen schöpferisches
Feuer mit solcher Heftigkeit, daß in vier Monaten die Partitur nahezu
vollständig vorlag. Aus dem Briefwechsel mit seinem Librettisten Antonio
Ghislanzoni wissen wir, wie der Schaffensrausch ihn zwang, ganze Szenen
selbst zu gestalten und seinen Mitarbeiter zur Eile zu drängen, so daß diesem
fast nur die sprachliche Formulierung übrigblieb. Seit den bösen Erfahrungen, die Verdi mit den
Aufführungen seiner “Sizilianischen Vesper” 1855 und dem “Don Carlos” 1867 an
der Pariser Grande Opéra gemacht hatte, pflegte er das Palais Garnier nur
noch als “Grande Boutique” zu titulieren, für die jemals geschrieben zu haben
er zu seinen schwersten Sünden zählte. Zwar wußte er Meyerbeers “Hugenotten”
und “Afrikanerin” sehr wohl zu schätzen, und die Exotismen des letzteren
Werkes klingen in der “Aida‘ nach. Sicher aber ist es nicht im Sinne Verdis,
mit zirzensischem Pomp, wie er noch in jüngster Zeit etwa in der Veroneser
Arena mit marschierenden Elefanten im Triumphzug des Radames entfaltet wurde,
die psychischen Innenspannungen des Dramas zu überlagern. Herbert von Karajan, der die Funktionen des
musikalischen Leiters und Regisseurs bei der Eröffnung der Salzburger
Festspiele in Personalunion ausübte, kommt bei seiner Neigung zu vokalem und
orchestralem Glanz und Schimmer, bei seinem Hang zu breitem theatralischem
Effekt dennoch nicht in Versuchung, die rein musikalischen Werte, die glühende
Leidenschaft und sanfte Innigkeit des Verdischen Melos szenischem Effekt zu
opfern. Als Inszenator hat er nicht immer eine glückliche Hand. Das
Bühnenbild Günther Schneider-Siemssens zum großen Finale mit dem Triumphbogen
zwischen zwei Pyramiden, auf deren Stufen Teile des Chores bis hoch hinauf
postiert sind, ist weder dekorativ wirksam noch sachlich glaubwürdig. Die
verschiedenen Ballettszenen wollen sich in den angestrebten
historisch-archaischen Stil nicht recht einfügen, trotz einiger der Musik geschickt
angepaßter Inventionen des Choreographen John Neumeier. Die aus dem Wiener
Staatsopernchor, dem Chor der Nationaloper Sofia und dem Salzburger
Kammerchor gebildeten, von Walter Hagen-Groll einstudierten Chormassen kommen
zu kraftvollem Einsatz und sind willige Werkzeuge in der Hand des Dirigenten.
Die im Pro zu beiden Seiten der Bühne aufgestellten ägyptischen Trompeten
blasen ihren berühmten Marsch einmal links, dann rechts eine kleine Terz höher,
mit durchschlagendem Effekt. Der Auftritt der Gefangenen mit Amonasro
erinnert ein wenig an den Gefangenenchor im “Fidelio”. Leider haben der König
und seine Tochter statt eines Thrones nur auf dürftigen Gartenstühlen ihren
Sitz, was entschieden den Proportionen der Würde und Macht abträglich ist.
Allegorische Gestalten am Schluß der Szene erschienen mir als willkürlich
erfundene Zutaten. Während der dritte Akt mit dem weiten Panorama der
Nil-Landschaft eindrucksvoll und auch dramaturgisch praktikabel ausgestattet
war, wurde der vierte durch die gegen den Willen Verdis eingefügten Pausen
mit langen Applaus-Salven in seiner dramatischen Spannung zerstört. Warum muß
die Gerichtsszene auf die Bühne kommen, anstatt daß die Stimme des Ramphis
und das Urteil des Priesterchors aus unterirdischem Gewölbe heilend
heraustönt? Auch das letzte Bild sollte sich unmittelbar anschließen und
realistischen Vorschriften der Partitur folgen. Kein Zweifel, daß die Sänger den unterbrechenden
Beifall im höchsten Maße verdienten. Mirella Freni, die wir als sanfte
Desdemona so oft erlebten, war als Aida nicht allein die liebliche dunkle
Sklavin, sondern eine von Liebensleidenschaft durchglühte äthiopische
Königstochter. Ihre zugleich süßer und hoch-dramatischer Affekte mächtige
Stimme ist klanglich ohne Makel und erreicht in der Nil-Arie einen
Farbenreichtum, wie er heute kaum einer anderen Sopranistin zur Verfügung
steht. Als Radames war der junge José Carreras der ideale Partner. Zwar
konnte er mit der untadelig, aber allzu routiniert vorgetragenen Anfangsarie
mich nicht erwärmen, erreichte aber im dritten und vierten Akt mit seinem
heldischen und zugleich geschmeidig und ohne Anstrengung geführten Tenor eine
durch echte Empfindung und Musikalität ausgezeichnete Leistung. Marilyn
Hornes Amneris gelangte vor allem im letzten Akt zum vollen Einsatz ihrer
enormen Stimmittel die von hochdramatischen Akzenten bis ins tiefe sonore
Alt-Register reichen. Ruggero Raimondis König mußte hinter dem machtvollen,
edel intonierenden Ramphis Nicolai Ghiaurovs etwas zurückstehen. Daß Piero
Cappuccilli eine der herrlichsten Baritonstimmen unserer Zeit besitzt, die im
lyrischen wie dramatischen Bereich höchsten Wohllaut ausströmt, war uns
bekannt. Als Amonasro erwies er sich auch als Sängerdarsteller von Rang. Daß diese sechsköpfige Sängerelite
sich Karajans feinfühliger und überaus ausdrucksintensiver Partnerschaft
erfreuen konnte, machte das Glück des Abends aus. Mit den ihm unverbrüchlich
folgenden Wiener Philharmonikern realisierte der Maestro jede motivische
Nuance der Partitur und ließ es auch an dynamischer Härte und orchestraler
Klangentfaltung in den großen Ensembles nicht fehlen. Es war ein festlicher
Abend, eine mit rauschendem Beifall aufgenommene Opern-Gala, ein Hochfest der
schönsten Stimmen, ein Abend großer Musik. |
Walther Kaempfer |