Berliner Morgenpost +
Welt, Berlin, Aufführung 26. Juli 1979 |
Feldmarschall Karajan
und sein siegreicher Marsch gegen
Äthiopien |
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Oper als Riesenspielzeuge, als äußerste noch
zulässige Machtentfaltung, als letzter kunstimperialer Rausch in demokratischer
Zeit: Salzburg lebt das vor mit Entschiedenheit und hat sich zur
Demonstration dieser Haltung diesmal zur Eröffnung der Festspiele
ausgerechnet Verdis “Aida” bemächtigt. Was Wunder: Was einst der Khedive am
Nil, ist Karajan nun einmal an der Salzach seit langem. Dabei will aber doch gerade “Aida” allen Pomp
und alles Gepränge ad absurdum führen: die Selbstherrlichkeit der
Priesterkaste, das autokratische Pharaonentum. Zwischen die Fronten ist die
Liebe geraten und singt sich zartstimmig aus. Sie reißt die Fassade nieder.
Sie stirbt ihren ganz und gar antiautoritären Tod. Diesen ägyptischen
Liebestod, der nichts akzeptiert, was ringsum geschieht. Eins ist uns freilich gewiß: Auf der Seite der
Liebenden steht Herbert von Karajan nicht. Er hält es strikt mit Priestern
und Pharaonen, mit Aufmärschen, Tempelweihen, Ritualen, Festivitäten. In
diesem Riesenspektakel dürfen die Liebenden sich kaum einmal die Hand halten.
Doch in der Grabkammer, den Tod schon vor Augen, macht der sture junge
Feldherr nicht den geringsten Anlauf, die Geliebte wenigstens ein einziges
Mal in die Arme zu schließen. Beide versinken im Tod wie mit einer Art
altägyptischen Paternoster. Eine technische Demonstration ersetzt die des
Gefühls. Günther Schneider-Siemssen hat Karajan wieder die
Bühne errichtet und, versteht sich, auf kolossalste Weise. Die riesige Bühne
überspannt als Vorhang ein Fries mit ägyptischen Motiven, links und rechts
vom Orchester sind zweistöckige Tempelbauten hochgezogen, aus denen es später
überwältigend stereophon zu tönen beginnt. Der Wiener Staatsopern-Chor
(verstärkt durch den Chor der Nationaloper Sofia und dem Salzburger
Kammerchor) schmettert unter Leitung von Ägyptens General-Musikmeister
Hagen-Groll mit vereinter Kraft alles nieder, was ihm singend in die Quere
gerät. Das ist imponierend, aber deprimierend ist es am Ende dann wieder
auch. Die Welt ist akustisch aus den Fugen, man fühlt sich künstlich
beschallt, massiert wie mit einer akustischen Keule. Es wird offenbar höchste
Zeit, daß nun auch in der klassischen Musik allgemeine SALT-Gespräche
beginnen. Wie fast immer in den letzten Jahren, hat
Karajan auch diesmal das Bühnenarrangement (das einzig er und das
Programmheft “Inszenierung” nennen) auf die gute, alte stocksteife Art
übernommen, deren Unlebendigkeit, von vornherein ausschließt, daß es zu einer
dramatischen Vibration zwischen Orchester und Bühne kommt. Im Orchester herrscht (gleichfalls unter
Karajans Hand) ein ungeheurer Farbenreichtum, eine Schlagkraft und
Entschiedenheit der künstlerischen Diktion, die immerfort faszinieren. Auf
der Bühne indessen fasziniert nichts. Sie steht sich selbst üppig im Wege. Freilich, das weiß man, gerade die
Verlegenheiten auf der Bühne sind nicht ungefährlich. Auf den schmalen Simsen
vielstöckiger Pyramiden herumstehen zu müssen, schwindelfrei, macht deutlich
da und dort weiche Knie. Nicht jeder Singägypter in Österreich ist
schließlich auf den Namen Reinhold Messner getauft. Das bremst im Tal das
Vergnügen an der Triumph-Szene erheblich. Ihre ausführlichere Beschreibung könnte leicht
hämisch wirken, so oft gibt sie sich unfreiwillig der Lächerlichkeit preis.
Vor allem beim Auftritt Amonasros, der sich in einem winselichen,
zusammenbrechenden Häuflein von Gefangenen natürlich ebenso unkenntlich zu
machen vermag wie etwa einst Hermann Göring ausgerechnet in einem
ausgemergelten Häftlingstransport. Natürlich ist man immer geneigt zu sagen,
wenn Herbert von Karajan am Pult steht: “Was macht das schon?” Aber es
schadet tatsächlich viel. Der Bühne gelingt es durchaus immer wieder, die
Musik zu desavouieren, ihr den Charakter der Wahrhaftigkeit zu rauben, Ernst
und Integrität, die Verdis Werk auszeichnen. Die inszenatorische
Temperamentlosigkeit, der trotzige Klischee-Charakter der Aufführung, die
fortgesetzt neureiche alte Floskeln gebiert, machen mit der Zeit beinahe
unlustig, auf das aufgewogene, klangvolle Orchesterspiel zu hören, das die
Wiener Philharmoniker wieder als das feinste Opern-Orchester ausweist —und
Karajan als den unvergleichlichen Operndirigenten, der er nun einmal ist. Allein schon wie er musikalisch Mireilla Freni
umsorgt, ist Zeichen für rücksichtsvollste Kapellmeisterkunst. Die Freni
singt die Titelrolle mit tiefem Verständnis, mit leicht geführter, durchaus
tragender Stimme. Ein Verdi-Sopran feinsten Kalibers, von Karajan über ein
Jahrzehnt hin künstlerisch aufgebaut und ins Ziel geführt. Die Freni kann
lachen. Daß nun kann wieder Marilyn Horne, die
Amneris, nicht. Sie blieb ein gewichtiger Fremdkörper inmitten der
Aufführung, verschüchtert vom Aufmarsch der großkalibrigen Italianita um sie
her. Die Horne, Primadonna der tiefen Lagen, sang wie mit ausklingender
Stimme ihre Partie, unfrei, wie verschüchtert, mit einem Schlag wieder zur
Novizin geworden. Neben der Freni zeichnete sich vor allem Cappuccilli
aus: Amonasro aus einer äthiopischen Belcanto-Oase, wo sie offenbar am
saftigsten sind. José Carreras war ein artiger, wenn auch nicht übermäßig
feuriger Feldherr, aber sein Monarch, Ruggero Raimondi, war schließlich auch
nur ein weichlippiger König von schöner Diktion, doch ohne Herrschergewalt.
Nicolai Ghiaurov als glatzköpfiger Oberpriester legte sich da stimmlich schon
weit stärker ins Zeug. John Neumeier hatte dezente,
geschmackvolle Tänze choreographiert. Eine Companie Infanterie marschierte zusätzlich
unter Feldmarschall Karajan siegreich gegen Äthiopien. Im Grund siegten sie
alle mal wieder ganz prachtvoll. Nur: wie in der Welt - so auch in der
Musikgeschichte — gibt es halt Siege, deren sich keiner recht freut. |
Von KLAUS GEITEL |