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Berliner Volksblatt

“Tosca” konzertant

 

 

Richard Strauss hat einmal gesagt auf kurze Sicht möge das Publikum der größte Esel sein, auf die Dauer jedoch habe es immer recht. Bei Puccini hat es von Anfang an recht gehabt. Es hat Ihn geliebt und ihm seinen herausragenden Platz im Opernrepertoire verschafft, als “Tosca” von Intellektuellen und Musikern in unserem Lande noch als blutrünstiges Schauerdrama abgetan, “I.a Bohème als sentimental verlacht wurde. Puccinis Durchbruch als großer Künstler kam spät — eigentlich erst vor zwanzig Jahren, als man sich an den großen Bühnen entschloß, ihn nur noch Italienisch zu singen.

 

Herbert von Karajan hat, als Wiener Opernchef vor allem, großen Anteil an dieser Neubewertung gehabt. Wenn er im philharmonischen Jubiläumsjahr eine bis in die kleinsten Partien kostbar besetzte‚ “Tosca” nun sogar konzertant aufführt, als handle es sich um Beethoven oder Wagner, dann ruft das keinerlei Erstaunen mehr hervor. Furtwäng1er, ja noch Karl Böhm hätte man sich nicht einmal in der Oper als Tosca Dirigenten vorstellen können.

 

Wie weiß der Meister aber auch diese Puccini-Partitur leuchten und klingen zu lassen! Weggewischt ist der Schlendrian, der unvermeidliche, des Opernbetriebs; eine Musik die seit je achselzuckend als unverwüstlich gepriesen wird, enthüllt ihren Reichtum. Er besteht nicht nur in den populären weitgeschwungenen Liebesmelodien oder dem Scarpia-Donner im Orchester, sondern ebenso in dem, was dazwischenliegt und bei minderen Musikern als unseren Philharmonikern zuweilen gar nicht hörbar wird.

 

Die gewaltigen Entladungen des Schurkischen überwältigen, weil ihnen vielerlei Impressionismen kontrastierend entgegentreten: die feierlichen Hörner etwa zu Beginn des Hinrichtungsakts, in die helle Welt Holzbläserrhythmen die Ahnung des Morgengrauens streuen, oder überirdische “Aida”Sehnsüchte im letzten Duett. Auch das Schweigen darf beredt werden, wird diesmal nicht zerstört durch Zwischenbeifall. Karajan lotet, ohne ihr die Dramatik zu nehmen, die Partitur kammermusikalisch aus und verwirklicht eine “Kunst des feinsten Übergangs”, die sich gerade beim Jähen bewährt:

Stimmungsumschwünge erfolgen so unmerklich wie plötzlich.

 

Seine bühnenbewährten Hauptdarsteller erfüllen dies Konzept sängerisch kongenial. Einen so verführerisch vornehmen Scarpia der leisen Töne wie Ruggiero Raimondi (vor Jahren der Premieren-Don Giovanni in der Deutschen Oper) gab es vielleicht noch nie. Katja Ricciarelli als Tosca, eine Dame, keine heißblütige Ziege, zeichnet im Ausbruch wie im makellosen Piano das Porträt einer leidenschaftlich Sensiblen. Und José Carreras gibt dem Cavaradossi wohl die Kraft und den Schmelz der Vittoria-Rufe, aber keinerlei Triumphgefühl. Auch er ein Leidender, dem Glück eine Utopie, Gefaßtheit Gebot ist.

 

Alles keine Sieger, von denen da das Orchester schwermütig die tieferen Beweggründe aufdeckte, ganz wie bei Wagner. Eben darum siegten sie am Ende allesamt vollständig. “Tosca”, die .blutrünstige, war als Menetekel an der Schwelle unseres unvorstellbar blutrünstigen Jahrhunderts, ein noch immer halb achtlos behandelter Kunstbesitz als Kostbarkeit bewußt gemacht. Die Betroffenheit der ausverkauften Philharmonie löste sich in Enthusiasmus.

 
Hans-Jörg von Jena