Salzburger Nachrichten, Aufführung 28. August 1978 |
Der Tod hat keinen Stachel |
Verdis „Requiem“ unter Herbert von Karajan im Großen Haus |
|
„Die Uraufführung unter Verdis eigener Leitung
wurde ein Ereignis; die Erschütterung, die das Publikum in der Kirche San
Marco erfaßt hatte, wandelte sich wenige Tage danach, als das Requiem im
Teatro alla Scala wiederholt wurde, in einen Sturm der Begeisterung." Dieses Zitat aus der von K. H. Ruppel verfaßten
Einführung im Programmheft zum Orchesterkonzert der Festspiele am Montag, bei
dem Verdis Totenmesse von den Berliner Philharmonikern unter Herbert von
Karajan aufgeführt wurde, deutet nicht nur die Extremwerte einer
Interpretation hier liturgisch, dort dramatisch orientiert — an, sie kann
vielmehr, was die Publikumsreaktionen angeht, auch den Duktus dieser Salzburger
Aufführung charakterisieren. Nicht aus einem Verständnis des Sakralen
breitete Karajan das Werk vor den Zuhörern aus, sondern Text und Musik hatten
sich theatralischen Vorstellungen unterzuordnen. Dementsprechend auch das
Echo: Begeisterung statt Erschütterung. Ich entsinne mich durchaus weniger prominent
besetzter Wiedergaben des .„Requiems“, etwa einer vor wenigen Monaten am
selben Ort, die durch die Drosselung der opernhaft zu nennenden Effekte das
Werk doch liturgischen Dimensionen annäherten. Das geht Hand in Hand mit
einer Verdeutlichung des Bekenntnishaften, einer Art „Wahrheit"
sozusagen, wie es diese zutiefst persönliche Musik Verdis ergreifend
ausdrückt. Immerhin hatte Verdi zunächst mit der Partitur seines „Libera me“
innerhalb eines ."Gemeinschafts-Requiems“ verschiedener Komponisten des
Todes Rossinis in Ehrfurcht gedenken wollen. Und auch die Weiterführung des
Werkes durch Verdi allein hatte einen konkreten Anlaß: den Tod Allessandro
Manzonis, den der Meister „einen Heiligen" nannte. Überspitzt formuliert
also: Für das Musiktheater zu schreiben, war für den Komponisten eine
Aufgabe, das "Requiem“ aber bedeutete in erster Linie für ihn eine
ethische Verpflichtung. Und genau hier hätte eine auch inhaltlich gültige
Interpretation anzusetzen. Doch Herbert von Karajan vertraut der glänzenden,
der blendenden Wirkung, an die eigene Maßstäbe angelegt werden. Schon der
Einsatz zum „Requiem aeternam“ erfolgt so, als habe das Orchester vorher
unhörbar gespielt und trete erst im Augenblick des realen — Beginns für das
Auditorium wahrnehmbar, gleichsam aus einem Nebel hervor. Die ersten Worte
werden vom Chor fast rezitativisch pointiert: das wird noch deutlicher wenn
im „Dies irae" das Grauen des Jüngsten Gerichts angesprochen erscheint.
Der eilige Schritt, mit dem der Dirigent auf Verdi zugeht, steigert sich in
dem zentralen Teil des „Dies irae“ auch zu überhitztem Temperament. Abkühlung
folgt dann in den solistischen Passagen des „Recordare“, des
„Ingemisco", des „Confutatis maledictis“ und des „Lacrymosa". In
diesen Teilen kam allerdings die unterschiedliche Verfassung des
Solistenquartetts merklich ans Licht: Mirella Freni, zweifellos auf einem
Gipfelpunkt ihres Könnens, legte die ganze Seele in ihren Gesang. das
berückend klare Timbre, die Innigkeit der Ausstrahlung hoben auch das „Libera
me" gebührend von einer bloßen „Szene und Arie“ des Soprans ab. Daneben
bestand Agnes Baltsa mit ihrer satten warmen Altstimme glänzend. José
Carreras umflorte seine tenoralen Töne vielfach mit kitschigen Schluchzer-Girlanden,
die etwa die Abnützung eines langen Festspielsommers kaschieren mochten.
Nicolai Ghiaurov blieb dezent im Hintergrund und bildete das zwar
verläßliche, aber nicht sonderlich erregende Baßfundament. Dieser
Aufführung fehlte etwas an aufwühlenden, tiefer ergreifenden Momenten. Auch
das Feuer, das Karajan in der Fülle der Details entfachte, die das Berliner
Philharmonische Orchester brillant ausformte. blieb letztlich kalt. Das
Gesamtbild von Mosaiksteinchen wirkte trotz ihrer Farbigkeit fahl. Der Verlauf
erschien exakt programmiert, selbst der Abmarsch der „Ferntrompeten“, die an
der linken Seite des Orchesters im Vordergrund der Bühne postiert und
folglich zu nah am Geschehen waren, hatte den Effekt einer genau festgelegten
„Inszenierung“. Der Wiedergabe mangelte es nicht zuletzt an einer gewissen
nachschöpferischen Spontaneität. So blieben wohl entscheidende innere Werte
der Aufführung versagt, obzwar Karajan die Heerscharen der Interpreten mit
suggestiver Kraft führte. Zu den Solisten und dem Orchester traten noch die
Mitglieder des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien,
einstudiert von Helmuth Froschauer. Sie hatten die vielen Noten der Partitur
genau im Kopf, konnten aber nicht immer im richtigen Maß und mit der nötigen
Schlagkraft über die Orchestermassen hinausdringen. Auch hier also hatte der
Tod keinen Stachel mehr. Der Jubel des Publikums nahm die gewohnten Formen
an. |
|