Presse, Wien, Aufführung 28. August 1978 |
Karajan erntet jetzt |
Giuseppe Verdis “Requiem” im Großen Festspielhaus in Salzburg |
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Herbert von Karajan, der sich vor Jahren vornahm, bei
seinem eigenen Salzburger Festival Richard Wagner in den Mittelpunkt zu
stellen, hat für diesen Sommer vorwiegend Giuseppe Verdi ins Programm
genommen. Er wirkt so gut. Sein Requiem diesmal, seine “Aida” zu Beginn des
nächsten Sommers. Es ist, aufrichtig muß man es gestehen, sehr schwer,
von einen Abend zu berichten, an dem Karajan das Requiem von Giuseppe Verdi
mit den Künstlern musiziert, mit denen er das oft und oft und stets mit
großem Erfolg bereits getan hat. Ist da zu Verdis kolossaler Totenmesse oder
zu Karajans dramatischer Deutung noch etwas ungesagt? Ganz wenig. Das meiste hat man mit Staunen oder
Begeisterung bereits aufgeschrieben, und daß Karajan von Konzert zu Konzert
Rücksicht auf die Abendverfassung seiner Sänger nimmt und also einige
dynamische Anweisungen nicht aus seiner Interpretation, sondern aus der
Rücksicht auf Sopran und Tenor zu verstehen sind, das weiß man auch schon.
Wirklich, daß Mirella Freni und José Carreras von ihrem Dirigenten schwärmen,
ließ sich nach dieser Aufführung wieder einmal sehr verstehen. Beide waren
gut, aber nicht in ihrer allerbesten Form und Karajan kaschierte das, als sei
das eine Kleinigkeit. Für ihn, der ein langes Leben mit zuerst sehr
minimalen, dann aber nur mehr mit den allerbesten, Mitteln musiziert hat, ist
es wahrscheinlich wirklich nicht schwer. Er kann ein Orchester mit einem Wink
zum Schweigen oder Flüstern bringen, er kann zur Rücksichtnahme auf einen
Tenor auffordern und die Celli setzen trotzdem gemeinsam ein, er kann aber
auch aus einer Chorvereinigung plötzlich Klanggewalten erpressen, die man
sonst nicht zu hören bekommt. Das ist die Frucht langen Musizierens und harter
Arbeit, und Karajan pflückt sie nun. Immer, immer wieder, und es ist
verständlich, wenn es auch Verehrer gibt, die immer, immer wieder das Requiem
von Giuseppe Verdi hören wollen. Diesmal also musizierten die Berliner Philharmoniker
beinahe so hart und grell wie am Vorabend bei Strawinsky, sang der Wiener
Singverein Helmut Frischauers um Klassen packender als bei vielen anderen
Gelegenheiten, waren Mirella Freni, Agnes Baltsa, José Carreras und Nicolai
Ghiaurov das Solistenquartett, in dem einzig die Baltsa als eine jetzt ideale
Sängerin genannt werden darf — auf Karajans allerhöchstem Niveau sind seine
anderen Solisten doch schon ein ganz klein wenig dem Verschleiß ausgesetzt. Wie immer nach der konzertanten Aufführung einer
Totenmesse währte es Sekunden, bevor sich im Publikum die Auffassung
durchsetzte, man dürfe nach Herzenslust applaudieren. Dann aber tat man es,
und der Jubel toste und verabschiedete Karajan für diesen Sommer. Im nächsten
wird er anläßlich des Triumphmarsches wieder aufklingen und das Große
Festspielhaus zu einer Art Luxusarena machen. |
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