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Kurier Wien, Aufführung 29. Juli 1978

Eine Reprise wie eine Premiere

Salzburg: “Don Carlos” unter Karajan

Von Karl Löbl

Verdis “Don Carlos”. als Karajan-Produktion heuer den vierten Sommer auf dem Programm der Salzburger Festspiele, hatte Samstag Wiederaufnahme. Statt einer Reprise erlebte man jedoch eine Aufführung von Premierenqualität: Nicht routiniertes Erhalten musikalischer Perfektion (wie etwa im Vorjahr), sondern intensives, erregendes Gestalten musikalischer Dramatik.

 

Herbert von Karajan demonstrierte, daß Verdi keineswegs nur die Gefälligkeit von schönem Wohlklang in seinen Opern angestrebt hat. Mehr war es ihm um Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, um Klangfarben. Illustration, um theatralische Hitze zu tun. Karajan gestaltete die Musik akzentuierter, greller, ungestümer als in früheren Jahren; im Wechsel von sensiblen Lyrismen und attackierender Dramatik bot er eine ideale Realisierung der “Carlos"-Partitur. Und dazu den Sängern herrliche, wache, liebevolle, Partnerschaft.

 

Auf der Bühne mit Mirella Freni, José Carreras, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov, Jules Bastin und José van Dam die bewährte Superbesetzung. Auch sie in Spannung versetzt, auch sie ohne die bequeme Rückversicherung bereits gehabter Erfolge in Aktion. Carreras draufgängerisch und fabelhaft bei Stimme, die Freni innig, ohne falsche Süße, Ghiaurov vor allem Mensch und niemals bloßer Opernkönig, Cappuccilli vor allem Belcantist.

 

Interessant, daß Duette und Ensembles jetzt vielfach wie Dialoge, wie Auseinandersetzungen klingen, bei denen Worte in Gesang münden. Auch die Philipp-Arie war weniger eine solche, mehr ein Einsamkeits-Monolog. Es bedarf erreichter musikalischer Genauigkeit, um sich vom Taktstrich frei machen zu können.

 

Als Eboli war Elena Obraztsova eingesprungen. Der Bolschoi-Star, im Westen als Primadonna gehandelt, hat deren Allüre und ein tatsächlich spektakuläres Material: von einer (für meinen Geschmack zu stark forcierten) baritonalen Tiefe bis zu dramatischen Spitzentönen reicht die metallische Stimme, die freilich allzu protzig dargeboten wird. Es scheint der Dame mehr um akustische Selbstdarstellung zu gehen als um Rollencharakterisierung. Höhenschwierigkeiten bei der großen Arie zeigten: Stars leben absturzgefährdet. (Eva Randova singt die übrigen Vorstellungen.)

 

Wiener Opernchor und Wiener Philharmoniker in Bestform; Frau Gruberova als Page (was tut man nicht alles für Karajan); eine Inszenierung, deren Klarheit, Zweckmäßigkeit und Schönheit sich immer mehr als Wohltat erweist: “Don Carlos" von echtem Festspielformat.