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Salzburger Volksblatt, Aufführung 26. Juli 1976

“Don Carlos” mit neuen Glanzpunkten

REPRISEN-PREMIERE VON KARAJANS VORJÄHRIGER INSZENIERUNG DER VERDI-OPER

 

Nicht einmal der seit Tagen strömende Schnürlregen konnte einige Unentwegte davon abhalten, unter schützendem Regenschirm und möglicherweise mit einem Anflug von Neid im Herzen die Auffahrt der Festspielgäste zu beobachten, die glückliche Kartenbesitzer für diesen “Don Carlos” waren. Montagabend eröffnete eine glanzvolle Aufführung im Großen Festspielhaus den Reigen der heurigen Festspielopern. Daß es sich dabei mit Ausnahme des neuinszenierten “Titus” ausschließlich um Wiederholungen bereits gezeigter Produktionen handelt, ist leicht zu begründen mit ökonomischen Gesichtspunkten und der großen Kartennachfrage. Auch daß Bewährtes nicht dem Neuen um jeden Preis Platz machen sollte, ist sicher ein erwägenswertes Argument. Zu bedenken bleibt die Frage, ob der vielzitierte Genius loci nicht überstrapaziert wird, wenn außer besagtem “Carlos” das offizielle Opernprogramm einseitig auf Werke von Mozart zugeschnitten ist, darunter freilich zwei seltener gespielte.

 

Es bleibt ein Spezifikum künstlerischer Darbietungen, daß auch scheinbar zum festen Besitz Zählendes immer aufs neue der Bewährung ausgesetzt ist. Herbert von Karajan konnte sich an diesem Abend auf eine Reihe bewährter Stützen aus dem Vorjahr verlassen. Da wären in erster Linie die Wiener Philharmoniker und die vereinigten Chöre der Wiener Staatsoper und des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu nennen, die aus völliger Vertrautheit mit dem Werk Außerordentliches leisteten. Spielkultur und Flexibilität der stets auf Klangschönheit bedachten Philharmoniker sind nicht genug zu rühmen, wobei ein Sonderlob für die stets präsenten und Glanzlichter setzenden Blechbläser angebracht erscheint. Prachtvoll das Forte des von Walter Hagen-Groll vorzüglich einstudierten Chores im Autodafé, der Verbrennungsszene der Ketzer, das auch szenisch durch ein sinnvoll eingesetztes und gegliedertes Massenaufgebot an Sängern und Statisten zum Höhepunkt des Abends wird (der Festakt aus “Aida” ist hier in greifbare Nähe gerückt, zugleich zeigt sich in der Annäherung an die französische große Oper die Distanz zwischen Verdi und etwa Meyerbeer). Daß der Chor zu einem äußersten Piano fähig ist, zeigen die Gesänge der Mönche und Hofdamen im Kloster bzw. Gartenbild. Eine Augenweide wiederum die Kostüme von Georges Wakhevitch, hinter denen die durch zwei schräg ansteigende Treppenaufbauten fixierten, innerhalb dieses Rahmens sehr phantasievoll abgewandelten Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen kaum zurück stehen.

 

Mögen die Solisten verzeihen, daß von ihnen erst jetzt die Rede ist. Konzentriert sich doch zu Recht der Erfolg des Abends auf sie. Die herrliche Stimme der betörend singenden, im Spiel durch die leise Traurigkeit anrührenden Mirella Freni als Königin Elisabeth hat man ebenso aus dem Vorjahr in erfreulichster Erinnerung wie den gewaltigen Baß des Nicolai Ghiaurov, der vor allem stimmlich dem Monarchen Philipp II. die erforderliche Härte und menschliche Tragik mitgibt und auch zu einem forcierten Ausbruch von Eifersucht und ohnmächtigem Schmerz in der Lage ist. Machtvoller, königlicher wird man auf keiner Opernbühne der Welt den Abschluß der Szene mit dem Großinquisitor hören mit dem berühmten Abstieg über zwei Oktaven vom eingestrichenen f zum F der Baßregion. Aufs neue bewährt in diesem herrlichen, in sich gleichwertigen Ensemble auch der Posa des Piero Cappuccilli, der seinen wohlklingenden Bariton technisch klug beherrscht und gegenüber dem letzten Jahr in die Rolle noch souveräner hineingewachsen erscheint. Nicht minder vollkommen gestalten José van Dam und Anna Tomowa-Sintow ihre kleineren, nichtsdestoweniger anspruchsvollen Aufgaben, die den überirdischen Stimmen Kaiser Karls V. respektive eines trostspendenden Engels ihre irdische Stimme leihen.

 

Die allgemeine Neugier und das Interesse des Premierenpublikums konzentrierten sich naturgemäß auf die “Neuen” im Ensemble. Im Sturm gewann Fiorenza Cossotto als die vom Prinzen verschmähte Fürstin Eboli die Herzen der Zuhörer. Vor allem nach Ihrer großen Arie, die den grandiosen dritten Akt der Oper beschließt, wurde sie von Ovationen überschüttet. Eine Demonstration auch wegen der unseligen Affäre um Christa Ludwig im vergangenen Jahr? Vielleicht. Mit Sicherheit aber ein verdienter Erfolg für die Cossotto durch den schonungslosen Einsatz ihres in allen Lagen gleich ergiebigen dramatischen Mezzosoprans und ein von Natürlichkeit und Temperament geprägtes Spiel. Die eigentliche Sensation aber war José Carreras in der Titelrolle, für Salzburg die Entdeckung eines vielversprechenden Talentes. Der junge Sänger, dessen Karriere über die großen Opernbühnen gerade erst begonnen hat, rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen durch eine Leistung hohen Grades. Das ist um so höher zu bewerten, als der Carlos im Vergleich mit den übrigen Partien durch Verdi nicht übermäßig dankbar, dabei gesanglich mit großen Schwierigkeiten ausgestattet worden ist. Zudem mußte Carreras darauf gefaßt sein, an der stimmlich und musikalisch auf höchstem Niveau stehenden Interpretation durch Placido Domingo im Vorjahr gemessen zu werden. Er hat den Vergleich glänzend bestanden, allenfalls mit kleinen Einbußen in der an einigen Stellen leicht forcierten, zur Enge neigenden Höhe. Darstellerisch ein idealer Partner für die Elisabeth, wußte dieser Carlos auch im Spiel für ich einzunehmen im hiefür durch die Regie gezogenen Rahmen. Einen Gewinn gegenüber dem vergangenen Jahr bedeutete das Engagement von Jules Bastin als Großinquisitor zumindest in stimmlicher Hinsicht. Wirkte heuer diese große Szene zweier Bässe vokal nicht einseitig unter Gewicht besetzt, ging von diesem Priester zu wenig die Härte eiskalten politischen Kalküls, auch nicht greisenhafter, ungebrochener Wille aus, wie es in der Absicht von Schiller und Verdi gelegen haben dürfte. Neu im Ensemble auch der reizende Page von Edita Gruberova und der symphatische Herold des hierzulande bis dato unbekannten Klaus-Jürgen Küper.

 

Von den großen politischen Hintergründen des Schillerschen Freiheitsdramas sowie den menschlichen und persönlichen Bezügen der Figuren zueinander sah man wenig an diesem Abend. Vermutlich auf das Konto des Inszenators Karajan zielte auch der einzige Buhruf dieses Abends, der im allgemeinen Beifall unterging. Fand die Auseinandersetzung um die Befreiung der Niederlande, Machtanspruch der Kirche, Eifersucht, Liebe und Staatsräson optisch so gut wie nicht statt, hielt man sich statt dessen an die zahllosen musikalischen Vorzüge der Aufführung. Der Dirigent Karajan ist allemal der überzeugendere Anwalt für dieses Werk. Ihm waren die entscheidenen Impulse für eine in sich geschlossene musikalische Realisierung zu danken.

 

Zu berichten ist von einem entspannten und lockeren Musizieren, das mit wachsender Intensität namentlich im zweiten Teil auf Integration des fließenden Ablaufes bedacht ist. Damit Hand in Hand gehen eine Entschärfung der klanglichen Kontraste und die Eliminierung zahlreicher Spannungs-und Generalpausen. Wie Karajan Licht und Schatten dieser Partitur verteilt, dem mystischen Charakter des Beginns ebenso Recht widerfahren läßt wie dem spanischen Lokalkolorit im zweiten und vierten Bild, lyrische Partien aussingen läßt “con alcune licenze” für die Sänger, dabei dramatische Bögen spannt und Akzente setzt, das zeugt von höchster Vertrautheit mit der Verdischen Musik und ist allemal unerreicht. Hier und in den mancherlei neu für die Aufführung hinzugewonnenen Glanzpunkten in der Besetzung lag der entscheidende Gewinn des Abends.

W—g