Presse, Wien, Aufführung 26. Juli 1976 |
Seelendrama und Spektakel |
“Don Carlos”-Reprise unter Karajan bei den Salzburger Festspielen |
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Ein außerordentlicher Abend. Noch nie war Herbert von
Karajan der Erfüllung seines Lebenstraums, unter absoluter Eigenverantwortung
perfekte Oper zu machen, die alles in sich bergen sollte, was der Begriff
evoziert — Seelendrama und Luxusspektakel, Fest der Stimmen und musikalische
Vollendung — noch nie war er dem Ziele näher als bei dieser “Don
Carlos”-Reprise der Salzburger Festspiele 1976. Mancherlei sollte ihm dabei zu denken geben: Zunächst
einmal, daß dies im Schoße der “großen” Sommerfestspiele gelang, nicht im
Rahmen des österlichen Privatfestivals, das einst mit genau derselben
Zielrichtung gegründet wurde; aber wohl doch organisatorisch und künstlerisch
zu leiten die Kraft eines einzelnen übersteigt. Zum andern, daß es Verdi (und
nicht Wagner) war: Hier, im Bereich der italienischen Oper, wo ausschließlich
der singende Mensch Träger des Dramas ist, wo also in der Regel keine
Stilisierungen, Deutungen, “Überhöhungen” und Konzepte gefragt und vonnöten
sind, sondern den Singschauspielern lediglich Raum zur Entfaltung ihrer
Persönlichkeit gegeben werden muß, hier genügen offensichtlich Karajans
handwerkliche Regieerfahrungen, gelingen ihm plausible Arrangements und
hübsch drapierte Massenszenen, unterlaufen ihm wohl einige kleinere, aber
kaum wirklich kraß störende Fehler, höchstens die eine oder andere
geschmackliche Entgleisung, die man in der Gesamtschau nicht überbewerten
sollte. Geschmacklich im Rahmen des Vertretbaren bleiben auch
die prunkenden Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen und die ausgesucht
luxuriösen Kostüme von Georges Wakhevitch — verlängertes 19. Jahrhundert
gewissermaßen und insoferne legitim, zumal die erste, französische, Fassung
des Werks unmittelbar an Meyerbeers Grand opera anschließt. Zwei Fragen
bleiben dennoch offen: Ob solch widerstandslosem, unreflektiertem
Historismus, solch opulentem Kulinarismus nicht dennoch einmal eine denkende,
kritische Auffassung entgegengesetzt werden könnte. Und wie provokant dieser
beispiellose Aufwand auf jene Stimmbürger und Steuerzahler wirken muß, die,
selbst wenn sie sich‘s finanziell leisten könnten und wollten, nie in den
geschlossenen Kreis der zum Fest Zugelassenen eindringen werden ... Sie konnten es, dem ORF
sei dank, wenigstens musikalisch. Und es wird Ihnen nicht entgangen sein, wie
gespannt und zugleich gelöst, vom nur zu erahnenden Streß der Krankheit
befreit, im souveränen Wechsel von breit atmender Ruhe und leidenschaftlicher
Dramatik Karajan musizierte, wie minutiös er den Orchesterpart ausgearbeitet
hatte und wie grandios ihm die Wiener Philharmoniker dabei alles in allem
Gefolgschaft leisteten, welche Delikatesse in Passagen und Klangfarben,
welche Natürlichkeit in den Ubergängen, welche Wucht in den Entladungen er
erzielte. Und all dies mit einem spontanen persönlichen Einsatz, wie man ihn
in den letzten Jahren, da er zuweilen zur Pose seiner selbst erstarrt zu sein
schien, nicht selten vermißt hatte. Eine grandiose Leistung! Auf der Bühne, was dem Maestro gleichfalls bei Wagner nie gelang, ein Ensemble von unüberbietbarer Qualifikation, von Nicolai Ghiaurovs nach wie vor unerhört eindrucksvollem Philipp über die makellose klare Vox humana der Mirella Freni bis zu Piero Cappuccillis souveränem, ausdrucksstarkem Marquis Posa. Neu ist José Carreras als Don Carlos: Eine Ideal rollendeckende Besetzung, was die jugendlich-schlanke Erscheinung und das ebenso jugendlich-schlanke Timbre, die Flexibilität des Singens und die elegant gewonnene, wenn auch nicht gerade strahlende Höhe anlangt. Neu im Ensemble auch die Eboli der Fiorenza Cossotto, nach wie vor “umwerfend” im Volumen und der Attacke ihres dramatischen Mezzo, in der Höhe freilich schon mit kleineren Schwierigkeiten kämpfend. Neu schließlich der Großinquisitor des Jules Bastin; auch er kaschiert Schwierigkeiten in der Höhe mit Persönlichkeit und rollengerechter “terribilità”. José van Dam ist “ein Mönch”, Edith Gruberova ein reizender Page, Anna Tomowa-Sintow eine (leise) Stimme von oben. Staatsopernchor und Singverein haben beim Autodafé ihren großen, stereowirksamen Auftritt. Ein außerordentlicher Abend. |
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