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Salzburger Volksblatt, Vorstellung 13.4.1976

Nichts Menschliches war ihm fremd

GIUSEPPE VERDIS ‚REQUIEM IM FESTSPIELHAUS APPLAUS FÜR EINE GROSSE AUFFÜHRUNG

 

 

Zum dritten Male hat Herbert von Karajan ein großes Requiem in sein Osterprogramm genommen: nach den Kompositionen von Mozart und Brahms steht in diesem Jahr das Requiem von Verdi auf dem Festspielplan. Es ging Dienstag mit Glanz über die Bühne und wird morgen, am Karfreitag, nochmals aufgeführt.

 

Daß das Konzertpodium zur Bühne wird, darf man bei so theatralisch-dramatischer Musik sagen, denn für Verdi war das Theater nicht Schein, sondern Wirklichkeit; Kunst bedeutete ihm Wahrhaftigkeit. Man kann Verdis Worte, die er über der Tür seines Landgutes in Le Roncole anbringen ließ, nicht oft genug zitieren: ”Ich bin ein Mensch. Nichts Menschliches ist mir fremd." Man sollte sich auch immer wieder einmal daran erinnern, daß Verdi der Sohn eines kleinen Landkrämers (“Dorfgreiß1ers” hierzulande) war und dank Talent und Fleiß, ganz wie‘s in den alten Lesebüchern steht, emporkam; daß er bald heiratete und zwei Kinder hatte... Frau und Kinder starben: “Nie wieder schreibe ich eine Note, ich kann es nicht! Er hat später noch viele Noten geschrieben, gottlob. Geniale Opernwerke. Und für einen verstorbenen Freund den Dichter Manzoni, das “Requiem”.

 

Es ist Musik der leidenschaftlichen Angst und Klage, mehr dies- denn jenseitig, Musik der selbsterlebten, wahrhaftigen Verzweiflung. Auch der Hoffnung, ohne die der Mensch nicht bestehen kann, und der Ergebung ins Schicksal. Das Ende ist nicht mehr Melodie, sondern das vertrauend gesprochene Wort: “Requiem aeternam dona...”

 

Karajan läßt die Leidenschaft so menschlicher Empfindung durchs Orchester toben; wunderbar, wie die Berliner Philharmoniker, aufs äußerste anqespannt, bei aller “Dies-irae”-Lautstärke den Schönklang bewahren, der dann in vielen zarten Piano-Nuancen der Solisten so tröstlich ist. Der Singverein der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, einstudiert von Helmuth Froschauer, meisterte im ganzen vortrefflich seine Aufgaben. Das Quartett berühmter Gesangssolisten erschien nicht unentwegt homogen, doch jede und jeder für sich vermochte zu begeistern: Montserrat Caballé, Fiorenza Cossotto, José Carreras, José van Dam. Ein Star-Aufgebot von höchster Qualität! Das Werk, Verdis “Requiem”, lohnt das Aufgebot.

 

 

B. Helm