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Opernwelt 4/1985, Interview

José Carreras

 

Als sich der berühmte italienische Tenor Giuseppe Di Stefano im Dezember 1972 im Teatro Regio von Parma eine Aufführung von Verdis Maskenball angehört hatte, rief er tief beeindruckt aus: «Ecco un giovane cantante che farà carriera mondiale!» (Hier steht ein junger Sänger, der Weltkarriere machen wird!) Als er nach der Vorstellung den Künstler beglückwünschte, fügte er hinzu: «Dein Timbre klingt wie meines, als ich jung war.» Der damals 26jährige Tenor hieß José Carreras, stammte aus Barcelona und hatte ein Jahr zuvor bereits in Parma den Verdi-Wettbewerb gewonnen. Seit seinem Bau durch die Napoleonswitwe, die österreichische Prinzessin Marie-Luise, rühmte sich das Teatro Regio in Parma, härtester Prüfstein im Leben eines Sängers zu sein. Die leidenschaftliche Opernliebe der Parmigiani und ihre außergewöhnliche Kompetenz — und dies gilt nicht nur für die Konservatoriumsstudenten, sondern auch für einfache Landarbeiter — Opernvorstellungen beurteilen zu können, arteten oft in leidenschaftlichen und fanatischen Diskussionen aus.

José Carreras, einstiger Chemiestudent, der schon als Kind den Wunsch hatte, Sänger zu werden, und dessen Begabung bereits vor einigen Jahren von der katalanischen Kollegin Montserrat Caballé in Barcelona entdeckt wurde, erlebte bei seinem ersten offiziellen Opernauftritt in Parma als Riccardo einen wahren Triumph. Der Beifall steigerte sich spontan nach der schwierigen Romanze. Hier bestach der Tenor durch vollendete Phrasierung und perfekte Atemtechnik. Der sympathische, bescheidene, stets liebenswürdige und blendend aussehende Katalane mit der herrlichen Naturstimme hatte Parma erobert. Noch in der gleichen Spielzeit triumphierte er dort als Rodolfo in «La Bohème». Dann gab er bereits sein New-York-Debüt als Pinkerton an der City Opera, 1973 debütiert er in Buenos Aires als Alfredo und an der San Francisco Opera als Rodolfo. 1974 finden wir ihn zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper als «Rigoletto»-Herzog und am 18. 10. 1984 (richtig: 18.11.1974) debütiert er als Cavaradossi an der Met. In der Spielzeit 1974/75 singt er den Riccardo im «Maskenball» an der Mailänder Scala. Sein Auftreten in der glanzvollen Zeffirelli-Inszenierung unter Claudio Abbado wird zu einem Ereignis. Das Mailänder Publikum feiert ihn begeistert und erklärt ihn offiziell zum Nachfolger Di Stefanos. Herbert von Karajan wird auf den talentierten Sänger aufmerksam und im Sommer 1976 singt er neben Mirella Freni, Piero Cappuccilli und Nicolai Ghiaurov den Don Carlos in Salzburg. Als Don Carlos finden wir ihn auch in der fünfaktigen Fassung anläßlich der 200-Jahrfeier der Scala. Claudio Abbado dirigierte diese Monumentalinszenierung von Luca Ronconi.

Giuseppe Di Stefanos Voraussage für die Weltkarriere des Tenors hat sich in nur wenigen Jahren erfüllt. Eine rein lyrische Stimme mit dramatischen Akzenten: Sein Gesangsstil beruht auf einer hervorragenden Technik, die er sich hart erarbeitet hat.
Noch nicht 40jährig hat er bereits an allen berühmten Opernhäusern gesungen und zahlreiche Schallplatten eingespielt. Aber trotz der Erfolge ist der Sänger bescheiden geblieben. Von Starallüren und Starrummel hält er nichts. Er verteidigt seine Privatsphäre, und so oft es ihm der übervolle Terminkalender erlaubt, fliegt er auf ein paar Tage heim zu seiner Familie nach Barcelona. Sein Haus liegt außerhalb der Stadt mit einem herrlichen Blick über die katalanischen Berge. Mit Liebe und Stolz hängt José Carreras an seinen beiden Kindern. Sohn Roberto (richtig: Alberto) ist jetzt 11 und Töchterchen Julia 6. Beide begleiten ihren Vater gern in die Oper, wenn er in Barcelona singt. Aber leider ist das nicht allzu oft, denn die Opernliebhaber rund um den Erdball warten auf seine Auftritte. — Christina Mai führte das folgende Gespräch mit José Carreras in Mailand. 

Herr Carreras, wann haben Sie Ihre Stimme entdeckt?

Bereits als Kind mit sechs oder sieben Jahren. Ich hatte den Film «Il grande Caruso» mit Mario Lanza gesehen, war davon fasziniert und wiederholte zuhause vor dem Spiegel die gehörten Arien. Meine Eltern erkannten früh meine Begabung für den Gesang und unterstützten mich moralisch, später auch finanziell. So besuchte ich das Konservatorium in Barcelona, nahm Klavier- und Gesangsunterricht. Im Klavierspielen habe ich es nicht weit gebracht.

Wer war Ihr Lehrer?

Ich hatte zwei Lehrer, beide stammten aus Barcelona. Anfangs studierte ich bei Maestro Francisco Puig, später ein paar Jahre mit Juan Roax.

Wann und in welcher Oper debütierten Sie?

Als mein offizielles Debüt betrachte ich «Lucrezia Borgia» mit Montserrat Caballé im Gran Teatro del Liceu in Barcelona.

Seitdem sind Sie ein gefeierter Weltstar geworden. Wo immer Sie auftreten, sind die Theater ausverkauft. Wie viele Partien haben Sie im Repertoire?

Etwa sechzig.

Gibt es darunter Lieblingsopern?

Am liebsten singe ich Verdi und Puccini.

Ihre liebste Rolle?

Riccardo im «Maskenball». Das gilt für den Sänger Carreras. Der Zuhörer Carreras liebt Verdis Don Carlos über alles. Ich bin ein enthusiastischer Opernbesucher. Sobald es meine Freizeit erlaubt, schaue ich mir eine Oper an. Bei einem Opernbesuch kann man Positives lernen, aber auch Dinge sehen, die man selbst auf der Bühne vermeiden möchte.

Wie erarbeiten Sie sich eine neue Rolle? Ihr Kollege Placido Domingo z.B. studiert die Rolle ohne Korrepetitor ein, indem er sich selbst am Klavier begleitet.

Placido spielt ausgezeichnet Klavier. So gut kann ich es nicht. Ich brauche einen Maestro, der mich begleitet, damit ich mich besser auf den Gesang konzentrieren kann. Ich arbeite gern mit einem Lehrer, der mich korrigiert. Gleichzeitig singen und Klavierspielen kann ich nicht. Da geht mir die Konzentration für den Gesang verloren. Natürlich ist das von Sänger zu Sänger verschieden. Jeder studiert nach seiner eigenen Methode.

Viele Gesangsstudenten arbeiten jetzt mit Schallplatten. Was halten Sie von dieser Methode?

Schallplatten sollte man sich schon anhören, die Arien gehen leichter ins Ohr. Auch große Interpreten sollte man sich anhören, sie können animieren, Ideen vermitteln, wie man seine Technik verbessern kann, aber auf keinen Fall sollte man Stimmen imitieren oder kopieren. Das ist falsch und führt zu nichts.

Hatten Sie als Student ein Vorbild?

Di Stefano war mein Ideal, weil in seinem Wortgesang erlebtes Gefühl mitschwingt. Ich wünschte mir als Student immer, wenn ich einmal singen würde, meinen Zuhörern das vermitteln könnte, was mir die Interpretation von Di Stefano bedeutete. Auch Di Stefano liebte den Wortgesang. Die Zuhörer sagen oft: «Carreras tu canti à la Di Stefano!» Oder man sagt mir, «Du hast ihn imitiert». Das stimmt nicht. Wir haben zwei verschiedene Stimmen, aber eines haben wir gemeinsam: Das Konzept. «Prima la parola, prima di tutto, poi la musica! ». (Zuerst das Wort, dann die Musik). Pippos Interpretation hat mir gezeigt, wie man Gefühl mit Worten ausdrücken kann, wie man den Gesang von der Ausdruckskraft, von den Emotionen her prägen kann. In diesem Sinne ist Pippo auch eine Art Lehrmeister gewesen.

«Ich lege großen Wert auf klare Diktion»

Herr Carreras, das Publikum nennt Sie auch «il tenore della parola cantata« d.h. Tenor des gesungenen Wortes, der perfekten Phrasierung und Diktion. Ist das angeborenes Talent oder kann man das erlernen?

Ich glaube, das Talent zur Phrasierung und Diktion ist angeboren, ein Geschenk der Natur sozusagen, aber nur zum Teil. Ausdrucksvolle Phrasierung und stilvolles Singen beruhen auch auf einer makellosen Technik, auf perfekter Atemkontrolle, auf sinnvoll, gefühlsmäßig eingesetzter Stimmfärbung. Das alles habe ich mir hart erarbeitet, d.h. ich habe meine musikalischen Anlagen weiter ausgebaut. In der Oper ist das Wort enorm wichtig. Wie ich bereits im Zusammenhang mit Di Stefano sagte, geht es hier nicht nur um die Musik. Das Wort hilft, die Musik noch ausdrucksvoller zu gestalten. Wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich immer zuerst an das, was ich spreche. Ich denke an die Bedeutung des Wortes und richte mich im Singen danach. Ich versuche dem Wort den richtigen Ausdruck, das richtige Gefühl zu geben. Ich singe nicht nur Noten, sondern drücke mich in gesungenen Worten aus. Deshalb lege ich großen Wert auf klare Diktion, es ist meine grundeigene Weise Oper zu interpretieren. Phrasierung und Diktion sind für mich enorm wichtig.

Haben Sie je Schauspielunterricht genommen?

Ich habe dazu keine Gelegenheit gehabt. Ich bin in Spanien geboren und das ist für einen Sänger dort weniger üblich. Zwar gibt es auch bei uns Schauspielschulen, aber nicht so viele wie z.B. in Amerika, wo viele Gesangsstudenten Schauspielunterricht nehmen. Meine Karriere begann auch ziemlich schnell. Nach den ersten Auftritten bekam ich bereits Angebote aus der ganzen Welt. Ich habe alles auf der Bühne während meiner Karriere erlernt, obwohl Schauspielunterricht bestimmt nützlich gewesen wäre.

Über Regisseure

Kürzlich wurden Sänger an der Scala kritisiert, da sie bei einem Recital ihre Liedertexte ablasen. Sollte der Künstler bei Recitals den Text auswendig lernen?

Meiner Meinung nach ist das bei Liederabenden unerläßlich. Man kann natürlich mal ein Wort vergessen, irren kann jeder, aber prinzipiell sollte man den Text auswendig kennen. Wie kann man denn die richtigen musikalischen Akzente setzen, wenn man Wort für Wort abliest?

Wie viele Stunden Schlaf brauchen Sie, um für eine Vorstellung in Form zu sein?

Neun bis zehn.

Herr Carreras, Sie haben meistens Glück mit den Regisseuren: Ponnelle, Zeffirelli, Strehler, Götz Friedrich u. a. Wie würden Sie reagieren, wenn man Ihnen z. B. den Radames in der vieldiskutierten Frankfurter Inszenierung angetragen hätte?

Ich habe keine Vorurteile gegen moderne Regie. Das Theater muß sich erneuern. Ich bin für Inszenierungen aufgeschlossen, die mit Ehrlichkeit, Würde, Überzeugung und Talent gemacht werden. Leider gibt es auch Regisseure, die unbedingt Aufsehen erregen wollen und die Provokation suchen. Eine Inszenierung kann die Zeit transponieren, kann avantgardistisch sein, muß jedoch trotz allem den Intentionen des Komponisten gerecht werden. Man könnte «Andrea Chénier» z.B. ins Jahr 2000 verlegen, die Titelfigur muß aber trotzdem noch ein Dichter, ein gebildeter Mensch, ein Altruist sein, der für die Freiheit stirbt, denn der Komponist hat in ihm einen gebildeten, feinsinnigen Menschen nobler Gefühle gesehen und für diesen auch seine Musik geschrieben. In diesem Sinne verstehe ich Werktreue. Absurditäten lehne ich ab. Ich habe am Fernsehen nur Ausschnitte aus der Frankfurter «Aida»-Inszenierung gesehen. Meiner Meinung nach war es eine «buffonata». Der Interpret im allgemeinen sollte den Mut haben, solche absurde Inszenierungen abzulehnen, denn sie sind unter anderem auch sängerfeindlich. Ich persönlich kann nicht glauben, daß man aus Überzeugung eine abwegige Inszenierung macht. Wenn ein Regisseur z.B. sagt: «So, jetzt mach‘ ich endlich mal einen guten Verdi, denn der hat ja damals von Regie überhaupt nichts verstanden, dem muß ich auf die Sprünge helfen», dann will dieser Regisseur nur Aufsehen erregen, und die Inszenierung wird bestimmt eine «buffonata». Durch schlechten Geschmack und diskutable Regie wird das Publikum irritiert, wird nervös und die ersten Opfer sind dann die Interpreten. Die Sänger auf der Bühne werden durch die gespannte Atmosphäre im Zuschauerraum nervös und beim ersten falschen Ton eines Sängers zeigt das Publikum seine Krallen, die Agressivität bricht los. Ich möchte auf keinen Fall die Verdienste der Regisseure schmälern, aber wir Sänger sind in erster Linie Opfer einer schlechten Regie. Ein Sänger muß auch die Kraft aufbringen und «nein» sagen können.

Es gibt natürlich auch ausgezeichnete, avantgardistische Inszenierungen. Ich habe aber auch mit Regisseuren gearbeitet, die weder die Sprache der Oper kannten, noch den Text, die nicht wußten, was im ersten oder zweiten Akt passierte, die aber sehr viel Wert auf die Beleuchtung legten! Meiner Meinung nach hat der Dirigent die absolute Verantwortung für eine Oper. Am besten ist immer das Teamwork: Regie-Orchester-Interpreten. Neunzig Prozent aller Opernbesucher gehen doch in die Oper, um Sänger und durch sie Musik zu hören. Wenn die Leute in London, Wien, Mailand, Hamburg vor den Kartenbüros Schlange stehen, so tun sie es doch nicht der Regie wegen.
 

Rollendebüts

Finden Sie, daß bei Neuinszenierungen zu wenig geprobt wird und die Stars zu spät ein treffen?

Bei «Andrea Chénier», meiner letzten Scala-Neuinszenierung haben wir drei Wochen harte Teamarbeit geleistet mit 10 Orchesterproben und mindestens 10 Regieproben. Wenn alles klappt, Bühnenbilder und Kostüme fertig sind, sollten 2—3 Wochen reichen. Gegenüber der Met hat die Scala der Vorteil, daß nicht jeden Abend gespielt wird. So können Orchesterproben vormittags und abends stattfinden. Das wäre an der Met unmöglich.

Herr Carreras, wollen Sie demnächst ins schwerere Fach wechseln?

Ich finde, daß meine Stimme jetzt viel lyrischer ist, als sie es vor zwei oder drei Jahren war. Zwar ist sie dunkler geworden und das erlaubt mir, neue Rollen zu singen, aber sie ist immer noch lyrisch, mit dramatischen Akzenten. Fürs schwere Fach bleibt noch Zeit genug. Ich werde in drei neuen Rollen debütieren, von denen mich zwei ganz besonders faszinieren: der Des Grieux in «Manon Lescaut» und der Hoffmann in «Hoffmanns Erzählungen» Für den Hoffmann habe ich bereits aus London und von der Met Angebote, aber es ist noch nicht sicher, ob es eine Neuinszenierung sein wird. Es hängt zum Teil auch vom Dirigenten und Regisseur ab, den man mir vorschlagen wird. Für die nächsten 2—3 Jahre wären das meine Rollendebüts.

Später einmal auch Othello?

Zur Zeit habe ich mir diese Rolle noch nicht zum Ziel gesetzt. Othello ist eine unwahrscheinlich schwierige Rolle, nicht nur von der musikalischen Seite her. Die Rolle verlangt ein langsames Hineinwachsen, verlangt einen Reifeprozeß auch als Mensch. Es ist eine gigantische Rolle, man darf dieser Partitur nicht oberflächlich gegenüberstehen. Wenn ich in späteren Jahren einmal fühlen sollte, jetzt könnte meine Stimme für die Rolle geeignet sein, werde ich die Partitur öffnen und hineinschauen. Bis dahin wird aber noch viel Zeit vergehen.

Während der «Lohengrin»-Proben an der Scala sagte Strehler einmal, meine Idealfigur des Lobengrin auf der Bühne wäre Carreras. Was sagen Sie dazu?

Das ist ein herrliches Kompliment. Dafür bin ich Strehler dankbar. Natürlich ist Lohengrin immer die Traumrolle aller großen Tenöre gewesen. Wenn Wagner ihn auf italienisch geschrieben hätte, würde ich mich bestimmt später einmal mit dieser wunderbaren Partie auseinandersetzen. Aber Sie kennen bereits meinen Standpunkt, was Sprachen. anbetrifft. Mein Deutsch reicht gerade aus, um mich in einem Restaurant, auf einem Flugplatz und zur Not im Theaterbetrieb verständlich zu machen. Um Lohengrin auf deutsch zu singen, müßte mein Deutsch perfekt sein. Ich glaube nicht an Papageien, die alles nachplappern. Es wäre ein Auswendiglernen, nicht ein Beherrschen der Sprache. Ich verstehe die Kollegen nicht, die auf französisch, deutsch und italienisch singen, ohne überhaupt ein Wort in diesen Sprachen zu verstehen.

In der letzten Zeit hat es viele Schwierigkeiten an der Scala gegeben. Streiks, mangelhafte Planung usw. Finden Sie, daß die Scala immer noch das führende Opernhaus der Welt ist?

Unbedingt. Ich singe an allen großen Theatern der Welt, spreche auch mit meinen Kollegen und bin der Meinung, daß, wenn eine Inszenierung an der Scala gut ist, kein anderes Opernhaus der Welt sich mit einer Scalaproduktion messen kann. Die Mailänder Scala besitzt eine magische Ausstrahlung, die man in keinem anderen Haus findet. Ein Erfolg an der Scala ist für mich etwas Ergreifendes, denn das Publikum der Scala bewertet einzig und allein die Leistung. Hier kommt es nicht auf den klang. vollen Namen an, auf die Anzahl der verkauften Schallplatten. Hier kommt es nur auf die Leistung des Sängers an, auf die Leistung, die während der Vorstellung erbracht wird. An der Met z.B. ist das Publikum den Künstlern gegenüber weniger «grausam», man vergibt ihnen schon mal einen schlechten Abend. Das passiert an der Scala nicht. Hier zählt nur Leistung. Mittelmäßiges Können wird hier kaum honoriert. Deshalb ist ein Erfolg an der Scala für mich immer noch ein Erlebnis..

Sind Sie religiös?

Es gibt eine höhere Gewalt, die mir Kraft und Stärke gibt, auch die Schattenseiten des Lebens zu akzeptieren. Ich glaube an nichts Rationelles, sondern an etwas Überirdisches. Wenn Sie mich fragen, was es nun ist, an das ich glaube, könnte ich es selbst noch nicht definieren. In schwierigen Momenten gibt der Glaube mir Kraft, weiterzukämpfen. Auch im Zweifel, denn wer zweifelt schon nicht in gewissen Lebenslagen?

Wenn man so rastlos als Jetset-Künstler lebt, von einem Hotel, einem Flughafen zum anderen, gibt es da manchmal Depressionen?

Auch die kann es geben, aber Gott sei Dank bin ich ein sehr ausgeglichener Mensch. Die Rastlosigkeit gehört zu den negativen Aspekten des Künstlerberufs. Jeder Beruf hat Licht- und Schattenseiten. Die Arbeit, die Karriere sind Antriebsfedern. Auch sind meine beiden Kinder ungeheuer wichtig für mich. Aber vielleicht bin ich ihnen ein schlechter Vater, da ich sie viel zu wenig sehen kann.

Herr Carreras, ich danke Ihnen für das Gespräch.