Zum Inhalt/To index
 
 
 
 
Künstlergespräch vom 2. Juni 1984 im Volkstheater; Gesprächsführung: Dr. Volkmar Parschalk.
José Carreras
 
José Carreras kennt man weltweit als Operntenor. Aber auf seiner neuen Platte singt er auch „Memories“, eine Nummer aus dem Musical Cats „. Bereitet sich da ein Wechsel vom Opernstar zum Musicalstar vor?
Ich habe mehrere Gründe, warum ich diese Musik singe. Erstens gefällt sie mir, sie gefällt vielen Leuten, und viele Leute singen sie, Das ist der Hauptgrund. Und es ist für mich entspannend, das zu singen. Und es gibt einen dritten Grund. Es ist vielleicht möglich, auf diese Weise, wenn sich jemand für den Künstler Carreras zu interessieren beginnt, ihn dann für eine Oper, für ernste Musik zu gewinnen.
Aber auch ein Filmprojekt mit José Carreras in der Rolle eines Popsängers könnte Grund für diesen Ausflug in die U-Musik sein.
Ja, das stimmt, der Plan besteht. Es ist ein Film mit Ivo Pogorelich und Bo Derek. Sie singt natürlich nicht, das hat sie nicht nötig. Und er ist ein klassischer Pianist. Ich spiele einen Popsänger, und es entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen Bo Derek und mir, und man überzeugt mich dann, daß ich Opernsänger werden soll. Bo kann vermutlich jeden Mann von allem überzeugen. Das ist also geplant und zu neunzig Prozent sicher.
Ein Film soll auch eine wichtige Rolle bei der Berufswahl von José Carreras gespielt haben. Man sagt, der Knabe José Maria sei durch einen Mario Lanza-Film zum Opernfan geworden.
Ja, das stimmt. Viele wissen, daß ich mich für Musik zu interessieren begann, weil ich den Caruso Film mit Mario Lanza gesehen hatte. Ich war damals sechs und habe dann begonnen, diese Lieder selber zu singen. Auf meine kindliche Weise. „La Danza“ von Rossini, „La donna è mobile“ und so weiter. Meine Eltern entdeckten mein Talent und brachten mich ans Konservatorium. Dort sollte ich Musik studieren. Aber ich hatte von allem Anfang an den Willen, Sänger zu werden. Vom Zeitpunkt an, da ich an das Konservatorium in Barcelona kam, habe ich dann immer gesungen. Eines Tages kam ein Anruf von der Oper Barcelona, ob ich in der Lage wäre, einen Knabenpart in einer Oper von de Falla zu übernehmen. Ich habe ja gesagt. Es war zwar eine sehr, sehr schwierige Rolle, vor allem musikalisch sehr schwierig, aber es war mein erster wirklicher Kontakt mit der Musikwelt.
Es passiert eigentlich nicht sehr häufig, daß Knaben-Sopran-Stars dann später, nach der Mutation, eine Stimme haben.
Ich war als Kind nie ein Sopran, sondern ein Alt, und das ist ganz seltsam. Normalerweise wird ein Kindersopran oder ein Knabensopran zu einer Bariton- oder Baßstimme und umgekehrt ein Alt oder Mezzo zu einem Tenor. Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt während der Mutation, weil ich die ganze Zeit weitergesungen habe. Wenn man aufhört zu singen, ist das gefährlich. Dann stimmt auf einmal etwas mit der Stimme nicht mehr, man hat Schwierigkeiten. Aber ich hab‘ die ganze Zeit gesungen, und so hat sich das natürlich entwickelt. Lange Zeit hatte ich mit den Höhen überhaupt keine Probleme. Dann plötzlich war‘s nicht mehr so leicht, hohe Töne zu singen, und dabei ist es bis heute geblieben.
Über den Beginn der Karriere von José Carreras gibt es verschiedene Versionen; in jedem Fall ist aber Montserrat Caballé damit verbunden. Einmal heißt es, José Carreras habe zuerst zusammen mit ihr den Flavio in „Norma“ gesungen und sie wäre aufmerksam geworden auf den jungen Tenor, der den Haupttenor ausstach. In einer anderen Version heißt es, sein erstes Auftreten in Barcelona sei in „ Lucrezia Borgia“, ebenfalls mit Montserrat Caballé, gewesen.
Es stimmt eigentlich beides. Mein allererstes Auftreten war als Flavio in „Norma“ mit Montserrat Caballé. Das war damals ihre erste Norma im Januar 1970. Aber mein erster wirklicher Auftritt, das erachte ich als mein offizielles Debüt, war wiederum in Barcelona, im selben Jahr, aber in der nächsten Saison, im Dezember 1970.
Hat die große Primadonna wirklich helfen können, hat sie wirklich die Karriere beeinflußt?
Montserrats Einfluß hat nicht nur darin bestanden, daß sie sagte: „Ja, da gibt‘s einen Tenor, mit dem möchte ich zusammen singen“, sie hat mir also nicht nur kommerziell geholfen — der war auch wichtig, dieser Aspekt —‚sondern viel wichtiger für mich war die moralische Unterstützung. Montserrat Caballé war damals bereits die Nummer Eins auf der Opernbühne. Und wenn es jemanden gibt, der dieses Kaliber hat, der so groß dasteht und an das Talent und an die Karriere eines jungen Mannes glaubt, dann ist das für diesen eine ganz große Hilfe, gibt ihm sehr viel Stärke.
Sehr oft innerhalb der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre sind Montserrat Caballé und José Carreras Partner auf der Bühne gewesen. Dabei besteht ein großer Altersunterschied zwischen den beiden — er der strahlende junge Tenor, sie die doch eher mütterliche Erscheinung...
Ja, im normalen Leben wäre das sicher richtig, aber auf der Bühne ist Montserrat eine ganz andere Persönlichkeit, mit unglaublichem Engagement für jede Rolle, die sie spielt und singt.
Neben Montserrat Caballé war aber auch entscheidend für die Karriere ein Gesangslehrer in Barcelona.
Ja, ich glaube, jeder Sänger braucht jemanden, zu dem er Vertrauen hat. Und zu diesem Mann habe ich Vertrauen, habe es immer gehabt und habe es auch heute noch. Ich kann ihn jederzeit anrufen, wann immer es notwendig ist, wann immer ich das Gefühl habe, ich brauche ihn. Da muß ich ihm erst gar nicht vorsingen. Es geht nicht nur um die hohen Töne dabei, sondern ich bespreche mit ihm meine Probleme, und er hilft mir. Und ich bin sehr glücklich, daß ich ihn habe. Unsere Beziehung ist eigentlich so, daß er mir nie gesagt hat, das mußt du tun und jenes mußt du tun, er war nie stur, nie unflexibel, sondern er sagt mir, was ich vermeiden muß, was ich nicht tun soll, und verläßt sich ansonsten auf meinen Instinkt und auf mein Talent. Und ich glaube, daß es ganz wichtig ist, daß man als Gesangslehrer nicht stur ist und jemandem eine bestimmte Methode aufzwingt.
Der Rudolf in „La Bohème“ war eine der Rollen, mit denen man José Carreras lange Zeit identifiziert hat. Dann vielleicht noch der Nemorino im Liebestrank“, der Alfred in „ La Traviata “; also die lyrischen, die elegischen Liebhaber. Inzwischen hat José Carreras längst andere Antworten gegeben, er hat Radames gesungen, den Manrico und jetzt den Don José in der „ Carmen „. Er ist also zum dramatischen Fach vorgestoßen. War es die äußere Erscheinung, die ihn für diese elegischen Liebhaber zu prädestinieren schien?
Nun, ich glaube, von meiner Stimme her bin und bleibe ich ein lyrischer Tenor; ich bin absolut kein dramatischer Tenor. Und auch was mein Äußeres anlangt, tendiere ich zu den romantischen Gestalten wie Rudolf oder Nemorino. Diese Partien singe ich auch oft. Darüber hinaus singe ich auch Chenier, Don José, Manrico, Kalaf. Doch ich glaube, mit einer Stimme — und diese Stimme ist zwar eine lyrische Stimme, aber sie ist eher dunkel getönt —‚ wenn ich die richtigen Akzente setze und die Aussprache und den Text betone, kann ich das machen. Ich kann Partien des lirico-spinto singen, obwohl ich kein lirico-spinto bin, also kein Tenor fürs Zwischenfach. Ich bin und bleibe ein lyrischer Tenor. Aber mit einem gewissen Instinkt für diese Partien kann ich sie auch singen, in meiner Art und Weise.
Nach seinem ersten Auftreten 1970 in Barcelona hat José Carreras rasch alle Opernhäuser der Welt erobert, fast im selben Jahr oder in den nächsten zwei Jahren alle große Opernhäuser bis zur Met hin. London natürlich, die Scala. Nicht ganz glücklich verlief sein erstes Auftreten in der Wiener Staatsoper als Herzog in „ Rigoletto „.
Ja, am Anfang ist alles gutgegangen, aber dann im letzten Akt war plötzlich die Stimme weg — das kommt nur zwei- oder dreimal im Laufe einer Karriere vor. Und ausgerechnet bei meinem Debüt in Wien war es so. Das war sehr traurig, aber das Publikum hat eigentlich phantastisch reagiert. Und ich hatte dann lange Zeit Angst, nach Wien zu kommen, hier den Rudolf oder den Cavaradossi zu singen. Ich hatte immer wieder die Erinnerung an diesen unglücklichen Rigoletto vom Anfang. Aber dann kam ich schließlich wieder, und Wien wurde für mich — ich will nicht sagen zu meinem Lieblingsopernhaus, das wäre zu billig, aber es ist jedenfalls ein Haus, in dem ich mich wirklich zu Hause fühle, mehr als in den meisten anderen.
Die Situation an der Wiener Oper derzeit — verfrühtes Ausscheiden von Lorin Maazel, Egon Seefehlner wird für zwei Jahre wiederkommen, ab 1986 dann Claus Helmut Drese als neuer Direktor
— muß für die Künstler etwas irritierend sein.
Ich hatte immer ein sehr gutes Verhältnis zu Maazel, als Staatsoperndirektor wie auch als Dirigenten, und ich glaube, unsere „Turandot“ ist der beste Beweis dafür. Mir gegenüber hat er sich immer wie ein Gentleman verhalten. Und ich bewundere ihn als Dirigenten. Ich habe auch immer schon ein sehr gutes Verhältnis zu Prof. Seefehlner gehabt. Und — ich bin wirklich ein glücklicher Mensch —ich verstehe mich auch mit Drese aus Zürich sehr gut, ich habe ja dort sehr oft gesungen. Also was sollte ich mir sonst noch wünschen? Aber eines ist mir vollkommen klar: ich singe nicht für einen Direktor, sondern ich singe für das Publikum.
Das Wiener Publikum gilt als besonders grausam. Es gibt sicherlich ein objektiveres Publikum, etwa in London oder in New York. Hier in Wien, wenn einmal ein Ton danebengeht oder etwas nicht so hundertprozentig ist, gibt es gleich ein Buh-Konzert. Eine Spezialität der Wiener?
Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Die Wiener sind ein sehr generöses Publikum, ein sehr echtes, echt empfindendes Publikum. Wenn es vier oder fünf Narren gibt, dann kann man die nicht mit Wien gleichsetzen. Für mich sind das einfach kranke Leute. Leider leben wir in einer Welt — haben Sie keine Angst, ich werde jetzt nicht philosophisch — in einer Welt von Gewalt und Terrorismus. Und es gibt eben auch Terroristen in der Oper. Andererseits stimmt es schon, daß man in London eine viel entspanntere Haltung gegenüber der Oper hat. Und es stimmt auch, daß man an der Met — ich will jetzt nicht sagen loyaler ist, aber daß man die Sachen leichter nimmt. Doch das, was ein Künstler wirklich liebt, das ist der Enthusiasmus, wie es ihn hier in Wien gibt.
Der Herzog im „ Rigoletto“ ist jedenfalls nicht zur Lieblingspartie geworden.
Na ja, ich erinnere mich, vor einigen Jahren, wenn es vorgekommen ist, daß ich irgendwo einen Vertrag hatte und eine andere, interessantere Aufgabe lockte, dann hat mein Manager zu mir gesagt: „Ganz einfach: Fahr hin, sing den Herzog in „Rigoletto“, und du bist das Engagement los!“
Immer wieder die bekannten Tenorpartien der Opernliteratur singen müssen — ist es da nicht auch so, daß man gerne Raritäten einstudiert? Und kann man diese Raritäten dann auch irgendwo singen?
Ich glaube, ich habe bewiesen, daß ich solche Sachen sehr gerne singe, vor allem Verdi-Raritäten. Und ich habe viele Aufnahmen auch von Rossini gemacht. Das ist sehr interessant, und ich glaube, das ist ebenfalls eine wichtige Rolle des Künstlers, die Dokumentation, die er für das Publikum schaffen muß. Raritäten gehören sicher nicht ins Repertoire jeder Oper, aber es ist immer interessant, eine Neuinszenierung zu machen. Und ich mache sehr gerne solche Neuinszenierungen unter bestimmten Bedingungen — wenn da ein ausgezeichneter Dirigent ist oder ein ausgezeichneter Regisseur, wenn ich das Gefühl habe, daß ich etwas lernen kann. Mit einem Karajan, einem Strehler oder Zeffirelli, einem Abbado bin ich bereit, auch drei Monate zu proben, wenn es notwendig ist. Was ich nicht mag, das sind mittelmäßige Leute, die zwei Monate damit verbringen, einem beizubringen, in welcher Szene man den rechten oder linken Fuß nach vorne stellen muß, oder die nicht auf die Musik oder die Belange des Theaters achten. Aber um es nochmals zu sagen: Ich bin immer bereit, schwer zu arbeiten und viel zu proben, wenn ich das Gefühl habe, daß es sinnvoll ist. Wenn nicht, dann sing‘ ich lieber irgendwo eine Aufführung, komm‘ am Vorabend dort an und fahr‘ am nächsten Tag wieder weg, oder ich singe irgendwelche Konzerte.
Das fordert natürlich die Frage nach der Opernregie heraus. Hilde Zadek, eine der großen Primadonnen der Wiener Staatsoper, hat gesagt, ja also diese modernen Regien, die so oft vom Publikum abgelehnt würden, wie etwa Hans Neuenfels‘ Frankfurter Inszenierung der „Aida“ oder seine Berliner Inszenierung der „Macht des Schicksals“, das sei doch immerhin bedenkenswert, denn man würde über die Oper nachdenken. Man ärgere sich zwar zunächst, aber man denke wochenlang über diese Vorstellung nach. Es gibt der Oper, die doch eine museale Kunst ist, einen neuen Impuls, wenn es solche Regien, solche Inszenierungen gibt.
Wenn wir vom modernen Theater sprechen und Sie mir als Beispiel die Frankfurter „Aida“ nennen, dann muß ich sagen, daß ich das nicht nur für lächerlich halte, sondern für eine Beleidigung Verdis. Das ist nicht echtes Theater, da will einer rasch berühmt werden, auf Biegen oder Brechen, auch mit schlechten Sachen. Was verstehe ich unter modernem Theater? Was ist richtungweisend? Als Beispiel möchte ich hier die Ponnelle-,,Carmen“ in Zürich anführen. Das ist modernes Theater! So müssen wir weitergehen. Alles andere ist Skandal. Das nächste Mal wird dann jemand Othello als blonden Helden darstellen und die Desdemona als Schwarze auftreten lassen.
Solches hätte also die Weigerung zur Folge, in einer solchen Inszenierung mitzumachen?
Ja!
Ich kann Ihnen da ein Beispiel geben von einem Kollegen, den ich sehr bewundere und der nicht nur ein ausgezeichneter Sänger ist, sondern auch ein sehr guter Freund von mir, Piero Cappuccilli. Der ist vor kurzem aus einer Produktion von "Rigoletto“ in Florenz ausgeschieden, weil man ihn dort als Clown auftreten lassen wollte, und da hat er sich geweigert. Es hat einen Skandal gegeben, aber ich glaube, er hat absolut recht gehabt! Denn was gegen die Musik und gegen die Meinung des Publikums geht, ist einfach schlecht. Das ist nur etwas für Snobs.
Herbert von Karajan bedeutete eine große Herausforderung. Er hat José Carreras zum ersten Mal im Verdi-Requiem in Salzburg eingesetzt, dann in „Don Carlos“, und er hat ihn sich dann als Radames für die „Aida“ gewünscht. Und alle Leute haben gesagt: „ Um Gottes willen, der Carreras wird den Radames singen und sich dabei die Stimme total ruinieren. Aber der Radames war Herausforderung für einen ganz neuen Weg der Karriere, die Eroberung eines neuen Fachs: Manrico, Kalaf, Don José...
Ja, da haben Sie vermutlich recht. Ich habe mit Karajan Dinge gemacht, die ich mit keinem anderen Dirigenten machen würde, zum Beispiel den Radames in Salzburg. Und ich möchte dazu noch folgendes sagen. Es ist natürlich wichtig, daß man mit Karajan arbeitet. Doch das Wichtige ist nicht bloß, daß es für die Karriere gut ist, daß man etabliert ist, sobald man mit ihm gearbeitet hat. Das ist nur der kommerzielle Aspekt. Darüber hinaus ist es vom Künstlerischen her ein Privileg, eine große Ehre, mit ihm zu arbeiten. Denn er zwingt einen, das Beste zu geben, er zwingt einen dazu, das Beste aus sich herauszuholen. Und wenn ich unter ihm singe, dann lerne ich auch, wie ich diese Rollen anderswo singe, wenn ich nicht unter ihm singe. Ich lerne für meine ganze Karriere etwas, weil ich weiß, daß das, was ich da mit ihm mache, hundertprozentig richtig ist. Und auch die neuen Dinge mit Karajan, die „Carmen“ in Salzburg oder 1986 „Don Carlos“, das sind sicherlich die Höhepunkte meiner Karriere in den nächsten paar Jahren. Und es kommt noch etwas dazu. Wenn ich eine Rolle mit Karajan gesungen habe und dann kommt ein anderer Dirigent und fragt mich: „Warum machen Sie das so, warum singen Sie das so und nicht anders“ und ich ihm darauf antworte: „Das hab‘ ich so mit Karajan gemacht“, dann hat er eigentlich nichts mehr zu erwidern, und ich kann genau das tun, was ich für richtig halte.
Es gibt in unserem Tenor-Himmel derzeit drei Tenöre: Pavarotti, Domingo, Carreras. Alle drei singen fast die selben Partien. Eine Belastung für das Verhältnis zueinander?
Mein Verhältnis zu Luciano Pavarotti ist ganz ausgezeichnet, er war immer äußerst liebenswürdig zu mir. Wir sind sehr gute Freunde, spielen oft Karten miteinander, er hat oft für mich gekocht — übrigens ganz ausgezeichnet! Ich hab‘ ihn hier in Wien in der „Aida“ gesehen, da war er ganz hervorragend! Er ist ein Künstler, der seinen Weg verfolgt und sich nicht darum kümmert, was die anderen tun oder sagen, und das wird auch in Zukunft so sein. Was Placido anlangt, so hatten wir auch ein sehr gutes Verhältnis. Nur kam es hier in Wien, im Zusammenhang mit dem Galakonzert, wie Sie sich erinnern werden, zu einem Bruch, doch das hat sich wiederum gegeben. Wir sind wieder zusammengekommen, er hat mir die Situation erklärt von seinem Standpunkt. Ich habe ihm zugehört, habe mit ihm darüber gesprochen und ihm meinen Standpunkt erklärt. Und seither haben wir ein sehr gutes und herzliches Verhältnis und sind gute Freunde. Und ich glaube, das ist auch ganz richtig so. Abgesehen davon, sind wir ja beide Spanier, und wir müssen eben zusammenhalten. Ich hege eine große Bewunderung für ihn und halte ihn für einen der größten Künstler unserer Zeit.
Zwingt nicht das Verhalten eines dieser drei Tenöre die anderen zwei zu ähnlichem Verhalten, damit sie ihren Beliebtheitsgrad und ihren Marktwert halten. Also, wenn Luciano Pavarotti einen Film macht, dann müssen auch José Carreras und Placido Domingo einen Film machen; wenn Placido Domingo Popmusik singt, dann müssen Pavarotti und Carreras eine Pop-Platte auf den Markt bringen; und wenn der eine öfter im Fernsehen ist, dann versucht der andere auch, im Fernsehen aufzutauchen.
Nein, ich glaube, daß das ein Eindruck ist, den vielleicht manche Opernfreunde haben, aber es entspricht absolut nicht der Realität. Ich glaube, Luciano ist es ganz gleichgültig, was Domingo und ich machen, und mir und Domingo ebenso. Ich glaube, wir wissen alle genau, was wir wollen. Wir haben Hunderte von Angeboten. Wir könnten alle 360 Tage im Jahr singen und darüber hinaus 20 Aufnahmen machen. Und wenn Domingo irgendeine Pop-Platte herausbringt und es mir Spaß macht, auch eine herauszubringen, oder wenn Pavarotti in einem Film auftritt und dann Domingo auch in einem Film auftritt, der eine Tennis spielt und dann der andere auch unbedingt Tennis spielen muß, so hängt das eigentlich nicht damit zusammen, daß wir einander Konkurrenz machen wollen. Natürlich gibt es einen Markt, und natürlich gibt es die Plattenfirmen, die darauf bestehen, daß wir das alles machen, und manchmal ist der eine der erste, dann folgt der andere nach, und dann erst kommt der dritte. Ein andermal ist es wieder umgekehrt. Ich glaube aber, wir machen das nicht aus ernstem Konkurrenzgeist, sondern eben entspannt und fühlen uns da nicht als Konkurrenten.
Weg von der Oper, hin zu den Liederabenden. Ist das schöner, anstrengender, befriedigender, als eine Opernpartie zu singen?
Es ist eine völlig andere Art, sich dem Publikum zu präsentieren. Bei der Oper stehen Sie auf der Bühne; Sie haben das Orchester, Sie haben die Kollegen, Sie interpretieren eine Rolle auf der Bühne mit Make-up und so weiter. Bei einem Liederabend ist das ganz anders. Da stehen Sie allein auf dem Podium mit dem Klavier, Sie haben den Frack an und fühlen sich trotzdem nackt, sind dafür in einer positiven Weise dem Publikum ausgeliefert. Und dann kommt noch etwas dazu. Jedes Lied hat seinen eigenen Charakter, es muß in einer eigenen Weise interpretiert werden, in einer bestimmten Tongebung, in einer bestimmten Farbe. Das erfordert unendlich viel Konzentration. Und man muß die verschiedensten Stilepochen mitempfinden und nachempfinden, vom 17. Jahrhundert bis herauf in die Moderne. Ich glaube, das alles ist ein weiterer Beweis für die Professionalität eines Künstlers.
José Carreras hat in einem Interview einmal gesagt, und zwar verblüffenderweise gesagt, das Wort sei für ihn das wichtigste. Also die Ausdeutung des Wortes. Bei Liederabenden kommt es darauf ganz besonders an, daß das Wort seine entsprechende Interpretation findet. Heißt das, daß für einen Sänger, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, das deutsche Repertoire bei Liederabenden völlig ausgeschlossen ist?
Wenn ich eines Tages Deutsch lerne, und ich habe die feste Absicht, dies zu tun, möchte ich zweifellos auch das machen. Mit allem Respekt für meine Kollegen, ich verstehe jene unter ihnen nicht, die bereit sind, in einer Sprache zu singen, die sie nicht. verstehen. Man muß ja nicht perfekt sein, aber man muß zumindest die Bedeutung dessen, was man singt, kennen. Aus diesem Grund rühre ich das deutsche Repertoire nicht an. Aber eines Tages — und ich werde einmal Deutsch können, ich verpflichte mich hier sozusagen, ich lege mich hier fest —‚ wenn ich einmal soweit bin, möchte ich natürlich dieses wunderbare Potential ausschöpfen, die deutschen Lieder, und darüber hinaus vielleicht einmal auch die deutschsprachige Oper. Wagner, vielleicht „Lohengrin“, warum eigentlich nicht?
Der Don José — gegenwärtig die beste, überzeugendste Rolle von José Carreras. Ist das das Ergebnis intensiver Probenarbeit mit Jean Pierre Ponnelle für dessen Züricher Inszenierung —wenn auch bei der Premiere ein anderer den Don José gesungen hat?
Ich habe mit Ponnelle selbst geprobt und dann auch in seiner Inszenierung in Zürich gesungen. Der Don José ist für mich eine ganz besondere Rolle. Ich halte ihn für einen ganz naiven Menschen, der bis zum Ende glaubt, daß alles gut wird. Er ist naiv, wie ich schon gesagt habe, und ganz und gar nicht der Gladiator, als der er von manchen dargestellt wird. Und er ist zum ersten Mal in seinem Leben verliebt. Diese Carmen ist eine derart überwältigende Persönlichkeit, daß sie von ihm ganz Besitz ergreift und er eigentlich machtlos wird. Ich glaube, in gewisser Weise ist er ein schwacher Mensch. Gewalttätig, aber schwach.
Der Privatmann Jose Carreras hat eine Familie in Barcelona — eine Tochter und einen Sohn. Er ist zusammen mit seinem Sohn ein Fußballfan, Anhänger des FC Barcelona, der Sohn betet Diego Maradona an. Doch wieviel Zeit bleibt schon dem Privatmann José Carreras, wenn der Künstler Carreras dauernd in aller Welt herumreist...
Wenn Sie mich nach meinem Privatleben fragen, so muß ich sagen, ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich liebe, wie die meisten anderen Menschen auch, meine Kinder, und wann immer ich 24 Stunden frei habe, fliege ich nach Barcelona, um sie zu sehen. Ansonsten bin ich dauernd in Kontakt mit ihnen, telefonisch und auf andere Weise. Und was Barcelona, den Fußballclub, anlangt, da bin ich komischerweise Mitglied, und die machen mir sehr viel Kopfzerbrechen und viel Schmerzen manchmal. Das ist so wie mit Rapid — wir sind zwar die besten, aber wir gewinnen nie die Meisterschaft. Um auf Privatleben und Beruf zurückzukommen: Ich versuche ernstlich, Beruf und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen. Aber das ist oft unmöglich. Ich liebe meinen Beruf, ich liebe es, zu singen, und ich habe die Gelegenheit, das zu tun, an den größten Häusern der Welt, vor dem besten Publikum, mit den hervorragendsten Kollegen, unter den besten Dirigenten. Das ist eine große, lohnende Aufgabe, und sie steht in Konflikt mit meinem Privatleben. Ich sage mir dann immer, ja, die nächsten 15 Jahre singe ich vielleicht noch, dann werde ich Zeit haben, mein Privatleben zu genießen. Und daher konzentriere ich mich auf das, was ich jetzt zu tun habe.
Womit wir wieder beim Künstler Carreras und dem, was er in nächster Zeit vorhat, sind.
Also was Österreich anlangt, haben wir zunächst einmal den Don José in Salzburg, dann in Wien die „Bohème“, das ist ja eine meiner Lieblingsrollen. Dann werde ich in der „Traviata“ singen, mit Gruberova und Cappucilli, und außerdem gibt es ein oder zwei „Turandot“-Aufführungen. Dazu kommt natürlich wieder Salzburg mit „Carmen“ und „Carlos“. Was die späteren Pläne betrifft, also für die Zeit nach 1986, so gibt es eine Reihe von Neuinszenierungen, ich darf das vielleicht hier, sozusagen im Familienkreis, sagen. Ich plane da zwei neue Rollen in französischen Opern, das eine ist Massenet, das andere Gounod. Und was neue Partien betrifft, so ist ja nicht mehr sehr viel übriggeblieben. Ich möchte zum 40. Geburtstag, 1987, den Canio in Barcelona machen, zum ersten Mal. Dann, in zwei oder drei Jahren, „Manon Lescaut“. Aber wie gesagt, an Repertoirerollen gibt es eigentlich nur noch wenige, außer den Raritäten, von denen wir schon gesprochen haben. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, im vergangenen Jahr habe ich eine ganze Reihe von neuen Partien zum ersten Mal gesungen —„Romeo und Julia“ in Barcelona, den Kalaf hier in Wien und den „Troubadour“ in London. Ich glaube, ich kann mir jetzt sehr wohl ein Jahr Ruhe gönnen...