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Opernwelt 2/1984
Barcelona: Teatro del Liceo
«Hérodiade»
Mag Wien wegen der abgebrochenen Vorstellung zetern — Barcelona erlebte die Primadonna in altem Glanz. Hier ist die Caballé zu Hause, hier trägt man sie auf Händen, hier fallen wohl auch gewisse psychologische Barrieren weg, die anderswo zu Kurzschlußreaktionen führen mögen. Kurzum: Man hörte, als Salome in Massenets «Hérodiade», eine Montserrat Caballé in großer Form, mit erstaunlich junger Stimme, ihre Piani kultivierend wie eh und je, hier aber auch im Forte überzeugend. (Daß manche ihr eine gewisse Schärfe in exponierten Lagen vorwerfen, ist sicher eine Frage des Geschmacks, vielleicht aber auch ein Mißverständnis: Die spanische Singtechnik provoziert, vor allem bei Frauen, in dramatischen Extremsituationen einen sehr metallischen Zuschnitt der Stimme — exemplarisches Beispiel hierfür war Maria Callas, als Schülerin von Elvira de Hidalgo eben auch in dieser Technik ausgebildet).

José Carreras ließ sich wegen einer Indisposition entschuldigen. Zu hören war davon nichts; mag sein, daß er ihretwegen aber mit seinen Mitteln haushälterisch umging. Jedenfalls sang er, obwohl die Partie des Johannes zum Teil recht heldisch daherkommt, über weite Strecken sehr schlank — und gewann damit seine so einzigartige Farbe zurück. Eine beeindruckende Leistung — die beste Vorstellung, die ich von ihm in jüngster Zeit erlebt habe.

Von der Kunst effektvoller Instrumentation verstand Jules Massenet sicher einiges, von der menschlichen Stimme wohl weniger. Die meisten seiner Partien liegen nicht gerade ideal, besonders schwer aber scheinen es die Mezzi zu haben. Werthers Charlotte zum Beispiel muß in den ersten beiden Akten sich beinahe als lyrische Altistin gerieren, um im dritten plötzlich fast zur Hochdramatischen zu werden. Schlimmer noch steht es um die Herodias, eine Partie, in denen hochdramatische Passagen mit unangenehm vorbereiteten Spitzentönen (ständig im Passaggio zu singen, um e, f, fis herum, und von da weiter nach g, as, a, b zu escalieren) abrupt wechseln mit sehr tiefen Passagen. Geschrieben ist sie wohl für einen «Sopran ohne Höhe», eine Zwischenlage wie jene der legendären Cornélie Falcon. Dunja Vejzovic, obwohl im höheren, dramatischen Mezzofach zu Hause, hatte denn auch ihre Schwierigkeiten damit, vor allem, wenn sie — wie etwa im Terzett der dritten Szene im ersten Akt — die Mittellage breit machte, um gegenüber Mitsängern und hier recht «dickem» Orchester durchzudringen. Spitzentöne sind bei dieser Singweise dann nur mehr mit forciertem, über die dramaturgische Motivierbarkeit hinausgehenden Kraftaufwand zu bewältigen. Die lyrischen Passagen gelangen ihr weitaus besser.

Juan Pons, übrigens aus dem Chor des Liceo hervorgegangen, hat bekanntlich prachtvolles Stimmaterial, diesmal setzte er es auch recht kultiviert ein. Nur ein, zwei Male, in extrem dramatischen und exponierten Situationen, schien die Stimme (noch) an eine Grenze zu gelangen — die Partie des Herodes umfaßt aber auch beinahe unmöglich zu vereinende Pole: den lyrischen wie auch den schweren Charakterbariton.

Alles in allem war es ein Stimmfest, wozu auch der ausgezeichnete Chor, von Romano Gandolfi einstudiert, beitrug. Die Erwartungen des Publikums schienen erfüllt. Man war ja der Stimmstars wegen gekommen, weniger, um ein kaum bekanntes Werk kennenzulernen.

Das Werk aber, sicherlich nicht Massenets stärkstes, hat die Überzeugungskraft stimmlichen Glanzes ebenso nötig wie eine kluge, bei allem ornamentalen Glanz auf «Entfettung» abzielende musikalische Präsentation, wie Jacques Delacôte sie bot. Was das Orchester unter seiner Leitung leistete, war erstaunlich — es dürfte das für Barcelona optimal Erreichbare gewesen sein.

Mit Mallarmés gleichnamiger Dichtung hat Massenets «Hérodiade» nichts zu tun — sie wurde 17 Jahre vor deren Erscheinungen uraufgeführt, 1881 in Brüssel. Nicht Herodias ist die eigentliche Hauptfigur sondern Salome, hier kein Teufelsbraten wie bei Wilde/Strauss, sondern ein sich präraffaelitisch gebärdendes und Johannes den Täufer in keuschem Überschwang liebendes Mädchen, das Hand an sich selbst legt, nachdem ihre Mutter den Geliebten ermorden ließ.

Das Werk steht fest in der Tradition der «Grand Opéra», ein Spektakel ohne Tiefgang, dem Auge mehr bietend als dem Hirn. Der Regisseur Jacques Karpo aus Marseille — von dort wurden auch die Dekorationen übernommen — versuchte nicht, es durch Überstülpen eine wesensfremden Konzeption zu «retten» (es wäre auch vergeblich Mühe gewesen), sondern spielte es quasi vom Blatt, mit üppigen Szenenbildern (Ausstattung: Kristin Osmundsen) und dekorativ arrangierten Sängern. Forderungen nach realistischer Glaubwürdigkeit darstellerischer Rollendeckung etc. sind schon vom Werk her nicht angebracht, die große Pose der Primadonna ist quasi mitkomponiert.

Musikalisch bewegt sich «Hérodiade», die ornamentale Geste de fin de siecle kultivierend, an der Oberfläche und droht an manchen Stellen ins Geschmäcklerische abzurutschen, was dank Delacôtes sicherem Stilempfinden (auch bei den sorgfältigen Strichen) vermieden wurde.

Massenets «sanftes Genie» blitzt gleichwohl hie und da auf, insgesamt aber kann man sich diesmal Joseph Hellmesbergers bissiger Argumentation (siehe oben) nicht ganz verschließen.