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Orpheus 12/1981

LUISA MILLER Giuseppe Verdi

Staatsoper — Premiere: 30. 10. 1981

Walter — Ruggero Raimondi, Rodolfo — Jose Carreras Federica — Marjana Lipovsek, Miller — Leo Nucci, Luisa — Katia Ricciarelli, Wurm — Richard Curtin Laura — Marianne Hirsti; Dirigent — Giuseppe Sinopoli Inszenierung/Ausstattung — Luciano Damiani, Chor — Jürgen Schulz

von IRIS BUNSCH

Hamburgs zweite Opernpremiere galt Verdis "Luisa Miller“, einem nicht eben populären Frühwerk des Komponisten. Daß es zu einer geradezu ereignishaften Aufführung kam, lag vor allem an dem Dirigenten GIUSEPPE SINOPOLI, der sich schon mehrfach als Spezialist gerade dieser Epoche in Verdis Schaffen erwiesen hat, aber noch immer eher als Geheimtip denn als Star-Dirigent gilt. Auf jeden Fall gelingt ihm wie selten anderen Dirigenten, einem die Ohren für Unkonventionelles, Eigenartiges, Erstaunliches zu öffnen. Schon bei der Ouvertüre wurde der Tenor seiner Interpretation deutlich; hart am Rande des Sezierens der musikalischen Formen entwickelte sich eine ungeheure Spannung, die von einleuchtenden Kontrasten lebte und die vom ungewöhnlich aufmerksam und präzise spielenden Orchester über den ganzen Abend aufrecht erhalten wurde. Sinopolis Art lakonischer Schroffheit im Präsentieren dynamischer Gegensätze, dramatischer Zuspitzungen und im Aufzeigen nuancierter Feinabstufungen erlaubt weniger ein Mitschwelgen in Klangschönheiten, zwingt vielmehr zum fühlenden Mitdenken beim unausweichlichen Zusammenprall zweier Welten; der des politischen Kalküls der Mächtigen mit dem Absolutheitsanspruch des Gefühls. Sinopoli gedenkt ebenso wenig wie Verdi, den grimmigen Konflikt zu verschleiern, er verdeckt aber auch nicht das Vibrieren der emotional aufgeladenen Atmosphäre. So dezidiert der Dirigent seine Umsetzung des Dramas vortrug, so entschlußlos, vage und einfallsarm blieb die szenische Aufbereitung durch den als Bühnenbildner und Regisseur in Personalunion wirkenden LUCIANO DAMIANI. Sobald es nicht um unabdingbar handlungsbezogene Aktionen ging, durften die Sänger das Publikum als eigentlichen Ansprechpartner behandeln. Andererseits legte der Bühnenbildner dem konzertanten Konzept des Regisseurs einige Fußangeln, indem er durch einen ziemlich steil ansteigenden Bühnenboden und zusätzlich durch einen manchmal darüberhin wallenden Riesenschleier dafür sorgte, daß sich die Solisten auf ihre Schritte konzentrieren mußten. Die schiefe Ebene besagte natürlich, daß es soziale Unterschiede gibt — und wer das nicht begriffen hatte, wurde noch einmal durch entsprechende Kopfbedeckungen darauf aufmerksam gemacht: Zylinder für die oben und Bowlerhüte für die unten. Ansonsten trugen die Herren unterschiedslos schwarzes Spanisches, jedenfalls ließ Don Carlos grüßen, und das lag ja auch nahe! Im übrigen spielte der erwähnte Schleier eine optische Hauptrolle; er schwebte von oben herab, faltete sich umständlich und langwierig wieder zusammen und bedeutete etwas.

Die Solisten mußten sich zwischen den Extremen — phantasielose Regie auf der Bühne und entschlossene temperamentvolle Interpretation im Orchestergraben — zurechtfinden. In den ersten beiden Akten waren es die tiefen Stimmen, die sich am schnellsten Sinopolis Richtung anglichen. LEO NUCCI als Miller setzte die emotionalen Spannungen in der Figur in eine enorm steigerungsfähige und kraftvoll durchgehaltene Gesangsleistung um, die mit Recht vom Publikum bejubelt wurde. Ebenso verlieh der schwarze Baß RUGGERO RAIMONDIS dem Grafen von Walter imposante, harte Konturen. RICHARD CURTIN als intriganter Finsterling Wurm überzeugte ebenfalls, zumal er eine leichte Tendenz zum nasalen Tonansatz geschickt in die Charakterisierung einbringen konnte. KATIA RICCIARELLI brachte vor allem im Schlußakt eine abgerundete. einleuchtende und mehrschichtige Interpretation der Titelfigur, für die sie dann auch alle Mittel ihres versierten Soprans verfügbar machte. Auch JOSE CARRERAS zeigte sich erst im letzten Akt in voller Form; hier konnte der Tenor neben der Emphase seines vokalen Einsatzes auch ein nuanciertes Charakterbild zeichnen. Einige Stimmtrübungen zuvor hatten in der zweiten Pause zu einer höchst überflüssigen Stimmungstrübung zwischen dem Startenor und dem Rang geführt. MARJANA LIPOVSEK sang die Federica mit geschmeidigem Alt und vervollkommnete das Ensemble großer Verdi-Stimmen.

Der von JÜRGEN SCHULZ einstudierte Chor sang klangschön, während er die von der Regie verordneten konventionellen Gesten absolvierte.

Daß trotz der szenischen Langeweile eine so großartige Rehabilitierung der "Luisa Miller“ gelang, beweist den hohen musikalischen Rang der Aufführung.