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Opernwelt 8-9/1983

Prima la musica
Puccinis «Turandot» an der Wiener Staatsoper

 

 

Wien, nur du allein... Die «Stadt der Träume» birgt für manchen ihren Alb, für Staatsoperndirektoren zumal, denn die Jagd auf sie hat Tradition. Oder, wie der derzeitige Inhaber dieser Position formulierte, die Usance, «den neuen Mann erst einmal durch die Hölle zu schicken, bis er sich beweist... »

Dies nun getan zu haben, mit einer in vielen Punkten für heutige Begriffe bemerkenswerten Produktion von Puccinis «Turandot», davon schien Lorin Maazel überzeugt zu sein, als er strahlend und souverän, von ferne ein wenig an Edward G. Robinson in «Little Caesar» erinnernd, vor dem Vorhang die diesmal Ungeteilte Zustimmung des Publikums entgegennahm.

Vor allem hatte der Direktor diesen Erfolg aber dem Dirigenten Maazel zu verdanken. An sich eher ein Mann des kühlen Kopfes als des allzu heißen Herzens, analysierte er Puccinis Partitur mit den Augen eines im französischen Impressionismus intim Beheimateten ebenso wie mit denen eines Suchers nach Spuren, die Strawinsky, Bartók, ja Schönberg in dieser Partitur hinterlassen haben. Er baut große Bögen, hat den Atem für gewaltige Steigerungen ebenso wie den Sinn für zart Hingehauchtes, und ist zudem den Sängern ein Partner, wie sie sich ihn besser nicht wünschen könnten. Man muß nicht unbedingt in allem ein Fan Lorin Maazels sein, diese «Turandot» aber war überzeugend.

Die Arbeit des Regisseurs Harold Prince weniger. Der große Meister der Musical-Regie schuf hier szenische Arrangements, die recht unbeholfen erschienen, nahm zu einer konventionellen Personenführung Zuflucht; optisch sah das Ganze in der Ausstattung von Timothy O‘Brien und Tazeena Firth eher aus, als sei es der China-Abteilung von Disneyland entliehen.

Dies betrifft die Bühnenaufführung. Erstaunlicherweise wurde der Eindruck in der Fernsehübertragung an vielen Punkten korrigiert. Zwar wirkten manche Arrangements in ihrer Gedrängtheit noch immer nicht recht bewältigt, aber die Beziehungen der Personen hatten plötzlich Spannung (sicher auch ein Verdienst des Bildregisseurs Rodney Greenberg), die Szene bekam Atmosphäre und war manchmal nachgerade von zauberhaftem Reiz. Etwa jene mit Ping, Pang und Pong Anfang des zweiten Aktes: Auf der Bühne wirkte die Choreographie der drei von Statisten getragenen Plattformen, auf denen die Minister saßen, recht schematisch und hölzern — im Fernsehen sah es aus, als schwämmen sie auf einem See, in dem sich Tausende von Lichtern spiegeln.

Sollte die Inszenierung vor allem in Hinblick auf die Fernsehübertragung konzipiert worden sein? «Showbiz» schön und gut, das wäre jedoch nicht fair den Zuschauern im Saal gegenüber.

Eva Marton in der Titelpartie überraschte mich. Zwar hält sie mitunter Lautstärke für eine Qualität, aber sie weiß durchaus auch zu differenzieren und singt im dritten Akt einige berückende Pianopassagen. In dieser Form ist sie als Turandot auf dem Weg zur legitimen Nachfolgerin der Nilsson.

Jose Carreras kämpfte als Kalaf an zwei Fronten: Gegen Eva Martons Stimmkraft einerseits, und gegen das, wie ihm scheint, Vorurteil, das Fach sei zu schwer für ihn. Ich kann nicht anders, als das letztere zu teilen, obwohl er einen wirklich guten Kalaf singt. Nur: Im Bestreben, die Stimme voluminöser zu machen, verliert sie, wie sie an Metall gewinnt, an Farbe, Timbre. Dies bedaure ich, weil ich Carreras‘ Timbre für eines der schönsten halte, die je existierten.

Katia Ricciarelli gelingen als Liù einige sehr schöne Passagen, und auch das leichte Flackern in der Höhe vermag sie meist zu kontrollieren. Ihre Darstellung läßt nicht unberührt. Dem alten Timur ist hier eine junge, frische Baßstimme gegeben: John-Paul Bogart. Hervorzuheben noch die Charakterstudie von Waldemar Kmentt als Altoum. Das Ministerterzett Robert Kerns, Helmut Wildhaber, Heinz Zednik sang anständig, manchmal etwas unausgeglichen; Kurt Rydls Mandarin schien vibratogefährdet.

Der Erfolg dieser letzten Premiere der ersten Spielzeit Maazels schien endlich etwas Ruhe in das Haus am Ring einkehren zu lassen. Wie man der Wiener Presse jedoch entnehmen kann, ist das Gegenteil der Fall: Nach guter Tradition spricht man weniger über Kunst als über rollende Köpfe. Seit der Zeit Gustav Mahlers scheint sich nichts geändert zu haben. Wien bleibt Wien.

PUCCINI: "TURANDOT", Premiere am 5.Juni 1983, besuchte Vorstellung am 30. Juni. Musikalische Leitung: Lorin Maazel; Inszenierung: Harold Prince. Ausstattung: Timothy O‘Brien und Tazeena Firth; Lichtregie: Ken Billington; Choreographie: Francis Patrelle; Chöre: Helmuth Froschauer. Solisten: Eva Marton (Turandot), José Carreras (Kalaf), Katja Ricciarelli (Liù), John-Paul Bogart (Timur), Waldemar Kmentt (Altoum), Rohert Kerns (Ping), Helmut Wildhaber (Pang), Heinz Zednik (Pong), Kurt Rydl (Mandarin) u.a.