Oper und Konzert 7/1983 |
La
Bohème |
NATIONALTHEATER -
München - 28.5.1983 |
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Ein
Belkantofest, das die Fans jubeln ließ, bereiteten José CARRERAS und Katia
RICCIARELLI bei ihrem einzigen gemeinsamen Nationaltheatergastspiel in dieser
Saison. Und in der Tat war es begeisternd, wie sich die erlesen schönen
Stimmen der beiden Sänger in den dankbaren Puccini-Kantilenen edel und voller
Wohllaut verströmten. Der Tenor von José Carreras prunkte in solch
großartigem „Affettuoso“ und strahlte in so herrlichem Höhenglanz, daß es
wenig ausmachte, wenn die Poeten-Erzählung durch Tiefertransponieren
„kehlengerechter“ gemacht, mezza-voce-Passagen überwiegend auf die tieferen
Lagen beschränkt wurden und ganz zu Anfang ein kleiner Gedächtnisfehler Nervosität
verursachte. Der Rudolf von José Carreras war jedenfalls in jeder Phase der
Aufführung ein leidenschaftlicher, heißblütiger Tenor-Emphatiker. Mehr an
Verinnerlichung, künstlerischer Sensibilität und Vermenschlichung der Partie
durch Mittel der gesanglichen Gestaltung bot freilich Katia Ricciarelli, eine
Mimi von ansprechender Sanftheit, mit einem lyrischen Schmelz, der
schlechthin verzauberte, und mit einer Sopransüße, die trotz der gelegentlich
auftretenden Notwendigkeit, einen höheren Piano-Ton zur Festigung
„nachzufassen", beglückte. Dieses junge, „reizende Mädchen“ durchlebte
sein Schicksal „zwischen bösen und guten Tagen, in der ewigen Erwartung der Trennungsstunde,
mit immer wieder bei Tagesbeginn ausbrechenden Gewittern, vor denen die Liebe
erschrocken von dannen floh“ (Vorwort zum 3. Akt), mit natürlichem. Gefühl,
inniger Schlichtheit und ohne Sentimentalität. Meines
Wissens zum 1. Male übernahm in der bereits 14 Jahre alten, aber noch immer
präsentablen Schenk-Inszenierung Patricia WISE die Partie der Musette, bei
der wir endlich einmal wieder die pikante Mischung aus leichtsinnig-vitalem
Charme, kesser Eleganz und blühender Stimmschönheit (trotz leichter
lndisposition) bewundern durften. Das Quattuor der Bohèmiens komplettierten
Bodo BRINKMANN als ziemlich bärbeißig wirkender, baritonale Stentor-Effekte
ansteuernder Maler Marcel, Raimund GRUMBACH als überlegener, fast etwas zu
saturierter, kultiviert singender Musiker Schaunard und Jan-Hendrik ROOTERING
als bärenhaft-tapsiger, gutmütiger, seine Mantel-Arie mit schöner
Eindringlichkeit und nobler Baß-Delikatesse vortragender Philosoph Collin.
Dem komödiantischen Anspruch der Baßpartie des senilen Kraftmeiers Benoit
wurde der Buffotenor Ferry GRUBER meisterlich, den vokalen Anforderungen
jedoch allenfalls annähernd gerecht. Amüsant durchlitt Gerhard AUER als
zeremoniös-pedantischer Lebemann Alcindor die Peinlichkeiten eines
„Weihnachtsspaziergangs“ mit der koketten, vehement loslegenden Musette. Nello
SANTI, vor dem 3. Akt mit Buh-Salven eingedeckt und am Schluß lebhaft
gefeiert, sorgte am Pult für ebenso aparte wie risikoreiche Rubato-Würze,
dramatischen Elan (bei zuweilen überzogener Lautstärke) und lyrisches
Espressivo; manche Schnitzer gingen wohl à conto seiner impulsiven
Schlagweise und seiner Vorliebe für grelle Akzente. Sonderbeifall
gab es zu Recht für einen couragierten Galeriebesucher, der vor dem 4. Akt
das Publikum bat, mit seinem Applaus doch bis zum Ende des Aktes zu warten,
nachdem zuvor brutal in Szenen und Orchesternachspiele hineingeklatscht
worden war. |
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