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Oper und Konzert 9/1980
Messa da Requiem 27.8.1980
Großes Festspielhaus
Die Festspiele neigen sich allenthalben dem Ende zu, die Kräfte der Künstler, der Sänger vor allem, auch. Wer sich nach der enttäuschenden Arena Aufführung des Verdi Requiems auf Karajans Interpretation in Salzburg gefreut hatte, sah seine Erwartungen auch hier nur zum Teil erfüllt. Der große Vorzug in Salzburg war der Dirigent Herbert von KARAJAN, der das Werk musikalisch ausschöpfte, neben den Schlägen des jüngsten Gerichtes auch Zeit fand für himmlische Ruhe, und der die Sänger, Chor wie Solisten, so führte, daß man sich nur wünschen konnte, sie hätten auch alle so gesungen. Überflüssig zu sagen, daß die Berliner Philharmoniker Karajans vollkommenstes Instrument sind, das er spielt, ohne daß ein Quentchen seiner Intentionen verloren geht. Fast ebenso überflüssig zu sagen, daß der nun schon traditionelle Verband der Staatsopernchöre von Wien und Sofia an Geschlossenheit, Ausdruckskraft und Schönheit des Singens ebenfalls keinen Wunsch offen ließ.

Die Solisten mögen zu den berühmtesten und teuersten Sängern der Welt zählen, gut war in dieser Aufführung eigentlich nur Ruggero RAIMONDI, der die Baßsoli mit urgesunder, kraftvoller Stimme —wenn auch ohne gestalterischen Ehrgeiz — so sang, wie sie geschrieben sind und wie sie dirigiert wurden. Das mag man für die allererste und selbstverständlichste Voraussetzung halten, aber die drei anderen Solisten erfüllten sie nicht durchwegs. Daß die Italiener Latein anders sprechen als wir, mit sehr offenen Vokalen, daran kann man sich gewöhnen. Schlimm wird es aber meist, wenn Nichtitaliener das nachmachen: sie finden dabei selten das rechte Maß. Agnes Baltsa war da nicht anders als ihre Kollegin in Verona: das Wort Jäsus zum Beispiel mißriet ihr zu blasphemischer Häßlichkeit. Sie hatte wunderschöne Töne in der hohen Mittellage, neigte aber zu übermäßigem Portamentieren und zum Schleppen. Eine Unart, die man allenfalls bei überschweren Stimmen in Kauf nehmen mag: der Ton quoll oft über Note und Wort hinaus, so daß z. B. aus inultum inultama wurde. Ähnliches, wenn auch nicht in solchem Ausmaß, gilt für Mirella FRENI, die zum Beispiel statt libera halibera sang, Töne zu tief ansetzte und hochzog oder auch girlandenartig durchhängen ließ. Davon einmal abgesehen sang sie überlegen, doch hätte man sich mehr und schönere pp gewünscht. Einen Vergleich mit früheren Sängerinnen dieser Partie, Luise Pflüger etwa oder Cavalli, hielt der große Star von heute an diesem Abend nicht aus.
Jose CARRERAS ging die Tenorsoli allzu heldisch an, überzog die Stimme, so daß sie hart schlug und an Glanz verlor. Nach dem äußerst breitspurig genommenen Aufstieg „statuens in parte dextra“ erreichte er den Gipfel mit Müh‘ und Not, das B war matt und kurz.
Eine teilweise wunderschöne Aufführung, die aber nicht zu Herzen ging — nicht nur wegen der Mängel bei den Solisten. HH