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Oper und Konzert 9/1986

„Carmen“ —fast ohne Carmen

Salzburg - 26.7.1986

 

Herbert von KARAJAN hat zeitlebens jungen Sängern gerne eine Chance gegeben. Als seine Hauptattraktion der „Carmen‘, Agnes Baltsa, absagte, ließ er die Annina seines „Rosenkavaliers‘, die viel geschätzte Altistin des Bachschen Magnificats, die Zigeunerin singen. Ganz sicher ist Helga MÜLLER-MOLINARI eine bedeutende
Sängerin, eine ungewöhnlich attraktive Bühnenerscheinung mit einem schlanken Mezzo, dem es freilich an der erforderlich fülligen Tiefe für Carmen mangelt. Aber sie ist nicht die femme fatale, die in anti-zivilisatorischer Wildheit in die Männerwelt einbricht. „Seinshaftes“ spürt man nicht, auch der Gesang kommt über Kunst nicht hinaus zu einer persönlichen Aussage. Daß eine Micaela mehr Beifall einheimst als der Weibsteufel, ist selten, aber bei der anderen Karajan-Entdeckung, FIAMMA IZZO D‘AMICO, begreiflich: schien ihr Elisabettas Königinsrobe noch zu groß bei den Osterfestspielen, so entfaltet sie als Bauernmädchen betörende Lyrik, leuchtende Spitzentöne. Don José fasziniert als hoffnunslos, aber auch gewalttätig Verliebter, nicht als blauäugiges Opfer seines Verfallenseins. José CARRERAS war in Hochform, auch Jose van DAM gelang eine Vertiefung seiner Rolle. Nicht ganz auf Salzburg-Höhe die Nebenrollen. Und das spanische Ballett war so überflüssig wie ein Kropf, ja störend.