Archäologen seien gewarnt,
in Grüften nach Aidas und Radames Gebeinen zu forschen: in Salzburgs
Festspieleröffnungspremiere schloß sich nicht nur der Stein
über den Liebenden, sondern sank tiefer und tiefer, bis er sie zermalmte;
graue Wolken dräuten über dem hügeligen Bestattungsgelände,
aus Nebelschwaden schälten sich zuletzt die Umrisse einer Pyramide:
Liebestod in Nibelheim. Auch wenn der alte Verdi gerade in Salzburgs melodisch-intensiver
Interpretation kein junger Wagnerianer ist, riefen hier szenisch Karajan
und Schneider-Siemssen noch einmal ihre aufregende „Ring"-Interpretation
vor einem Jahrzehnt in Erinnerung. Ihre Vision war zwingend, aber dies
symbolhafte Mysterium hatte mit den vorangegangenen realistischen Szenerien
nichts gemein. Günther SCHNEIDER-SIEMSSEN hatte, auch wenn er sich
von Karnaks Tempelhallen inspirieren ließ, keinen protzigen Rahmen
für ein pseudohistorisches Riesenspektakel geschaffen, bei den Riesenräumen
erschienen Triumphpforte und Pyramidenstufen für das große Finale
eher kärglich als opulent-monumental. Die endlose Spielfläche
verlockte Herbert von KARAJAN auch nicht zu einer aufwendig-prunküberladenen
Pharaonen-Show, sein König etwa war so bürgernah, daß man
als Friedensgarantie statt der Verlobung seiner Tochter Amneris mit Radames
fast die Ausrufung einer Volksrepublik durch das gekrönte Haupt selbst
erwartet hätte. Freilich wirkte beim Triumphmarsch das halbe Heer
Österreichs mit, das Ballett in peinlich einfallsloser John NEUMEIER-Choreographie
mimte Füllsel-Statisterie, die Chöre von Wien, Sofia und Salzburg
bevölkerten die Stufenaufbauten der Seiten (Respekt vor ihrer Schwindelfreiheit)
— aber mit Kammerspielmitteln ist diese Massenszene ja nun wirklich nicht
realisierbar. Dem Regisseur hier Gigantomanie vorzuwerfen, erscheint mir
töricht, schließlich ist ja dies ausladende Chor-Finale ja auch
nicht als Feinsinnsorgie komponiert. Warum freilich Karajan die Chöre
auch noch über Mikrophon verstärkte, so daß wahre Klangfluten
über Solisten und Statisten (und Publikum) hereinbrachen: das war
unverständlich. In der Pause klagten Parkettbesucher, sie hätten
die Solisten im Finale II nur noch als Stummfilmstare wahrgenommen — im
Rang freilich hörte man mit Wonneschauern, wie Aida und Radames auch
die geballtesten Chor-Attacken siegreich überschmetterten.
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