Opernwelt 5/1983 |
Ehrgeiz in Bari |
Donizettis «Lucia di Lammermoor» mit José
Carreras |
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Bari, die 869 km südlich von Mailand liegende
Hauptstadt Apuliens, rühmt sich, das einzige noch in Privatbesitz befindliche
Theater Italiens aufzuweisen. Das imposante, im Fin-de-siècle-Stil erbaute,
dreitausend Plätze umfassende Opernhaus feiert in diesem Jahr sein 80jähriges
Bestehen. Aus diesem Anlaß wurde ein ehrgeiziges Programm erstellt. Die
«stagione lirica» in Bari ist kurz, in der knappen Zeitspanne von Ende Januar
bis Ende März standen «Die Macht des Schicksals», «La Traviata», «Lucia di
Lammermoor», «Madame Butterfly» und «Die Italienerin in Algier» auf dem
Programm. Auch in dieser Spielzeit konnte der künstlerische Direktor Carlo
Perucci ausgezeichnete Solisten verpflichten wie Montserrat Caballé, Katia
Ricciarelli, Raina Kabaivanska, Marilyn Horne, José Carreras, Nazareno
Antinori, Giorgio Zancanaro, Maurizio Mazzieri, Nunzio Todisco, Antonio
Salvadori, um nur einige Namen zu nennen. Kostüme und Bühnenbilder werden
meist von anderen Opernhäusern ausgeliehen, da dem Teatro Petruzzelli nur
wenig finanzielle Unterstützung zur Verfügung steht. Zu einem besonders gelungenen Ereignis wurde Donizettis «Lucia di
Lammermoor» mit José Carreras und der jungen Entdeckung Jenny Drivala, deren
Natürlichkeit ebenso fesselte wie ihr warmer, mühelos leichter, bis zum
dramatischen Ausbruch reichender Sopran. In Bari hat man sich keine eigene
Neuinszenierung leisten können. Die Bühnenbilder waren ausgeliehen, die
Kostüme, nach Modellen aus dem 17. Jahrhundert hergestellt, stammten aus der
Sartoria Arrigo und weckten Erinnerungen an alte Benois-Inszenierungen. Am
25. März fand die vierte und letzte Vorstellung dieser «Lucia» statt.
Orchester, Chor, Dirigent und Sänger schienen äußerst engagiert. Maestro
Edoardo Mueller durfte mit dem Resultat zufrieden sein. Die junge Griechin
Jenny Drivala stellte sich in Bari zum ersten Mal einem italienischen
Publikum vor; sie sang und spielte eine ergreifende, eine zerbrechliche,
zierliche Lucia. Sie überraschte durch ihr warmes Timbre, ihre strahlende
Höhe und ihre schauspielerische Gestaltung. José Carreras als Edgardo
besticht allein schon durch seine Bühnenpräsenz. Giorgio Zancanaro ist ein
ausgezeichneter Enrico, ein strahlkräftiger Belcanto-Bariton. Hervorragend
der Baß Maurizio Mazzieri, der an den jungen Ghiaurov erinnert. Giuseppe
Costanzo, der junge Tenor und Sieger des Callas-Wettbewerbs vor zwei Jahren
in Mailand, war ein guter Artur. Es ist nur zu wünschen, daß dieses Theater
die hohe sängerische Qualität seiner kurzen «stagione lirica» auch weiterhin
halten kann. |
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