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Luisa Miller - 24. 11. 1982 
HAMBURGISCHE STAATSOPER
In der tiefen Kenntnis, die Giuseppe SINOPOLI gerade diesem Stiefkind unter den Verdi-Opern entgegenbringt, erlangen die orchestralen Zuspielungen bis in die letzten Streicherfiguren hinein eine bemerkenswerte innere Spannung. Hier findet das Espressivo, wie Verdi es verlangt, seine wahrhaft leidenschaftliche Darstellung.

Freilich bekommt das, was sich da zwischen Liebes- und Racheschwüren dynamisch so ungemein flexibel mitteilt, auf der Bühne leider kein überzeugendes Gegengewicht. Wenn Luciano DAMIANI schon weniger auf szenische Charakterisierungen denn auf wirkungssicheren Gesang setzte, — was man noch mit regielichem Anfängertum entschuldigen könnte, — so hätte man doch gerade von ihm eine bühnenbildnerisch markante Aussage erwartet. Diese aber fällt hier mittels bewegter Stoffbahnen und einer recht fragwürdigen Kostümierung womöglich noch dürftiger aus. Zwei Stühle und ein Tisch — seitlich eingefahren — reichen weiß Gott nicht aus, die Welt des Kleinbürgers Miller von derjenigen des Grafen Walter abzusetzen. Der einzige Unterschied zum Saal des Adels besteht bei sonst mit kupferfarbenem Belag ausgeschlagener nackter Bühne in der Höhe des Doppelstuhles, den sich Walter und Wurm in verschlagener Partnerschaft teilen. Ja, in der Umgebung von kuppelhütigen Dunkelmännern — und das sind sie in ihrer schwarzen Kleidung in der Tat — nimmt sich dieser vermeintliche Graf mit seinem Zylinder wie der Bandenchef in einem schlechten Krimi aus. Weniger dem Regisseur als dem Maskenbildner ist es freilich anzulasten, wenn sein eigener Sohn, hier übrigens nicht Ferdinand, sondern Rodolfo genannt, aussieht, wie der eher noch jüngere Bruder. Im übrigen zeigt dieser profillose Walter (Roberto SCANDIUZZI) lediglich die blasierte Arroganz einer Hofschranze, zumal sich sein polternder Baß wenig von dem des Wurm — ein auf Italienisch scheußlich klingender Name! — unterscheidet. Der hagere, baumlange Richard CURTIN singt diesen mit ebenfalls recht ungeschliffenem, doch zu charakterisierender Einfärbung befähigtem Baß. Wenn er da mit seinem langen Stabe nebst Silberknauf und schwarzem Zylinder daherstolziert, erwartet man allerdings weniger, daß er in Vorwegnahme der Briefszene aus „La Traviata“ Luisa mit Intrigen, sondern eher, daß er den Dichter Hoffmann mittels eines Spiegels täuscht. Im übrigen jedoch, sehen wir einmal von dem nicht eben luxuriösen Vokalinstrument Chor und jener bereits erwähnten Nichte des Grafen ab (Marjana LIPOVSEK), weiß die Staatsoper die Protagonisten auch in dieser dritten Aufführungsserie überaus reich zu besetzen. Der Gesang wird hier jedoch vornehmlich nach sportlichen Maßstäben gemessen. Was zählt, ist mehr die erzeugte Schallkraft als etwa die Psychologie der Figuren. Katia RICCIARELLI singt die schwierige Titelpartie mit warmem, einschmeichelndem und übrigens auch koloraturengeläufigem Sopran, ohne jedoch in die Sphäre einer echten Empfindung vorzudringen. Ungeachtet ihrer fraulichen Ausstrahlung umgibt sie die Luisa mit einer sinnenfreudigen Unschuld, wie sie letztlich auch ihren Partner José CARRERAS kennzeichnet. Es fehlt zwar, zumal jetzt, da seine Stimme zum Heldischen tendiert, nicht am dramatischen Affekt, wohl aber am inneren Feuer wie vielleicht an der Identifikation mit der Figur überhaupt. Rodolfo wird bei aller noch so mächtigen Stimmentfaltung letztlich nur auf den unverbindlichen Wohlklang einer sängerischen Glanzfassade reduziert. Diese versucht einzig Leo NUCCI bei ebenso prunkender Durchschlagskraft mit seinem starken Ausdruckswillen zu durchdringen. Sein Miller gründet nicht allein auf schönem Legato und glanzvollen Höhen, sondern er zeigt auch etwas von der Tragik des alten Vaters, den Verdi wenig später in seinem „Rigoletto“ üppiger ausgestattet hat. Sollte die Hamburgische Staatsoper vorgehabt haben, dem Aschenputtel unter den Verdi-Schwestern einen Siegeszug zu bereiten, so nehme man die gute Absicht trotz mancher kritischer Einwände für die Tat. 
Bernd Kima