Oper und Konzert 3/81 |
STAATSOPER WIEN |
Zu Unrecht vergessen - Die Jüdin |
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Eine Oper konzertant
aufzuführen, noch dazu eine fast unbekannte, vergessene, ist immer ein
Wagnis. Daß solches gelang, ist einer hervorragenden Darbietung der Wiener
Staatsoper unter der Leitung von Gerd Albrecht zu danken. Mit der Uraufführung von „La Juive“ (Die Jüdin)
am 23. Februar 1835 an der Pariser Grand Opera wurde ihr Komponist zum
internationalen Begriff. Sein Name: Jaques Francois Fromental Elias Halévy.
Keine der zahlreichen Opern des 1799 geborenen Komponisten, der Schüler von
Cherubini, Vizepräsident der Pariser Académie des Beaux-Arts und als
Professor des Conservatoire Lehrer Bizets war — dessen Tochter er heiratete —
hat den weltweiten Erfolg seines reißerischen Schauerdramas wiederholen
können. Judenhaß und Religionsfanatismus sind die
Thematik des Librettos von Eugène Scribe, das auf einer wahren Begebenheit in
Spanien — christlicher König liebt schöne Jüdin — basiert. Auch Grillparzer
faszinierte dieses Königsschicksal, das er in seiner „Jüdin von Toledo"
verarbeitete. Aus politischen Erwägungen, um die in einen Bürgerkrieg
verwickelten Spanier durch das heikle Inquisitionsthema auf der Bühne des
benachbarten Frankreich nicht zu provozieren — verlegten Scribe und Halévy
den Schauplatz nach Konstanz ins Jahr des Konzils, 1414. Hier nun begibt sich
die komplizierte Gruselstory, die, in französischer Originalsprache
vorgetragen, trotz ihrer verwirrenden Handlung, nicht zuletzt durch eine gut
gegliederte Programmeinführung und die hervorragende Vortragskunst der Sänger
durchaus verständlich wurde: Die Tochter des jüdischen Juweliers Eleazar,
Recha, ist in Wahrheit das Kind Kardinal Brognis aus der Zeit seiner
weltlichen Karriere und der Ehe mit einer Römerin. Rachel wird von einem
Christen, dem Reichsfürsten Leopold und offiziellen Verlobten der Prinzessin
Eudora, geliebt. Die Wut Eleazars über das Ansinnen, sich taufen zu lassen,
und die Rache des Juden über die seinem Hause angetane Schmach bringen
Leopold die Verbannnung, Recha jedoch den Tod. Als sie in einen Kessel mit
siedendem Öl geworfen wird, enthüllt der Jude dem Christen-Kardinal die
grauenhafte Wahrheit, daß soeben dessen eigene Tochter verbrennt. An der expressiv gestalteten Partitur mit
ungewöhnlichen Schwierigkeitsgraden haben die leidenschaftlichen Gesänge der
Chöre — sowohl im romantisch-inbrünstigen Te Deum als auch in den furiosen
parteipolitischen Haßtiraden, effektvoll einstudiert von Norbert Balatsch —
entscheidenden Anteil. Die oft an Meyerbeer erinnernde Musik bewegt sich
zwischen so starken Kontrasten wie zarten Lyrismen und elegischen Kantilenen,
aufbrandenden Furiosi und manchmal etwas billigen monströsen Blechpassagen
mit großspurigem Blechgerassel. In wohlberechnetem dramatischen Gespür türmen
sich die Aktschlüsse zu grandiosen Effekten. Die Solostimmen müssen höchsten Anforderungen
genügen — und taten es auch. Die Vaterrolle des Eleazar mit einem Tenor zu
besetzen, war eine Gefälligkeit gegenüber Halévys Freund Nourrit, der es leid
war, schmachtende Liebhaber, wie auch den ursprünglich ihm zugedachten
Leopold, zu singen. In der Staatsoper gestaltete José Carreras diese Partie
mit starkem Engagement, herrlicher Kantabilität und schmerzlich bewegenden
Melos. Als Leopold imponierte Chris Merrit mit großer heldischer Stimme und
ungewöhnlich exponierter Höhenführung in leidenschaftlichen Ausbrüchen. Mit sonorer
Wärme und Eindringlichkeit berührte Cesare Siepis Kardinal Brogni. Ilona
Tokodys Recha zeigte alle Seiten hoher Phrasierungskunst. Ihre dramatischen
Dialoge, spannend auch durch fahle, zögernde Orchesterfarben, gipfelten in
hingebenden Arien und pointierten Spitzentönen oder in flehenden Ensembles.
Ihre Gegenspielerin Eudora (Sona Ghazarian) sang mit frischer, manchmal etwas
flach und kindlich klingender Stimme und leichtem Mittellagenhauch dennoch
gestochen scharfe Koloraturen in schwindelnder Höhe. Gerd Albrecht gelang das
Kunststück, trotz massierter Orchesterklänge geschickt zu differenzieren und
die Singstimmen mühelos dominieren zu lassen. Die Wiener Philharmoniker —
trotz leichter Bläserunreinheiten — folgten gewissenhaft und ließen durch ihr
gepflegtes Spiel manche musikalische Länge vergessen. Sie alle belohnte
herzlicher und langanhaltender Beifall, und nur einer erntete unverdiente
Mißfallenskundgebungen: Marcel Prawy, der beliebte Opernführer vom Dienst,
dessen einleitende Erklärungen den Unmut des Auditoriums herausforderten. |
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