Oper und Konzert 1986 |
Don Carlos |
OSTERFESTSPIELE SALZBURG 1986 - Großes Festspielhaus |
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„Was noch nie sich traf, danach trachtet mein
Sinn“: Fessel und Unzulänglichkeit des Repertoire-Betriebs wollte Herbert von
KARAJAN entrinnen, als er in alleiniger künstlerischer und finanzieller
Verantwortung 1967 die „Osterfestspiele Salzburg“ ins Leben rief. Seine
Vision von Wagners Werk wollte er im Mönchsberg verwirklichen, auch wenn die
Brückenheiligen die Köpfe schüttelten ob des Wälsungeninzests. Im Zeitalter
des Regietheaters wollte Karajan aus dem Geist der Musik deuten — und der
verfluchte Ring, der im Drama allen Tod und Verderben bringt: Karajan brachte
er Glück über die Jahre. Es war ein verdientes Glück, ein durch seinen totalen Arbeitseinsatz
und sein Organisationstalent erst ermöglichtes Glück. Als Morgengabe brachte
er „seine“ Berliner Philharmoniker von der Spree an die Salzach, seine
Verbindung zu Schallplatte, Funk, Fernsehen und Film — und die Gesellschaft
des Geld-Adels ließ es sich etwas kosten, den Traum ihres Idols wahrzumachen,
um dabei sein zu können. Macht, Autorität und das in unserem proletarischen
Massenzeitalter so unzeitgemäß Elitäre dieses „Ein-Mann-Festivals“ sind
unerschöpfliche Quelle für Anfeindungen, die progressiven Kritiker wetzten
genüßlich ihre Thersites-Zungen. Daß der Musik-Imperator seine in Europa
unvergleichliche Stellung im Kulturleben nur benutzte, um seine
künstlerischen Ziele zu erreichen, wurde zuweilen übersehen. Zum ersten Mal
konnte ein Künstler sagen: was kostet die Welt — und die Welt spielte mit.
Und wer nicht dabei sein konnte, spielte wenigstens die Schallplatte der
alljährlichen Neu-Produktion. Heuer war die 20. österliche Herbert-von-Kar-Woche zu begehen: die
gloriose Idee von einst scheint verkümmert, die Flamme ausgebrannt. De
Kommerz hat die Kunst überholt: im zweiten Jahrzehnt häuften sich die
Reprisen, die neue „Carmen“ verkündet nun auch zur Sommerzeit, daß die Liebe
von Zigeunern stammt, die Konzertprogramme wiederholen sich — und zum
Jubiläum ward die von den Salzburger Sommerfestspielen 1975 stammende „Don
Carlos“-Inszenierung aufgewärmt, nur weil sie verfilmt werden sollte. Auf das
sängerfreundliche Arrangement in Günther SCHNEIDER-SIEMSSENS Dekorationen
näher einzugehen, lohnte sich schon 1975 kaum, die Doggen im Park von
Aranjuez sind noch größer geworden, der Zwerg nur älter. Und in San Yuste ist
es nun Nachmittag statt Mitternacht, damit die Kamera die vereitelte Flucht
filmen kann. 300 sh Reingewinn wies Karajan 1967 stolz vor; heute scheint der Etat
der längst hoch subventionierten Festwoche keine Neuinszenierung mehr zu
erlauben. Oder reichen die Kräfte des bald 78 jährigen Maestro nicht mehr für
eine musikalische und szenische Neugestaltung eines Werkes aus? Der Dirigent
Karajan scheint Antaios ähnlich neues Leben am Pult zu gewinnen: seine
Energie ist ungebrochen, das Orchester donnert elementar und eine
Fingerbewegung zaubert ein gespanntes erfülltes Pianissimo aus den 120
Instrumentalsolisten. Zwischen den rhythmisch federnden Effekten und dem Sinn
für das Seelenhafte der weitausschwingenden Kantilenen fällt eine Hinwendung
zum Innigen besonders auf; zu mehreren Augenblicken der Fürstin Eboli schien
er zu sagen „Verweile doch, Du bist so schön“: Agnes BALTSA ist ja auch im
Zenit. Von ihrem Geblüt waren nur noch Jose CARRERAS und Piero CAPPUCCILLI.
Karajans „Entdeckung“, die blutjunge Fiamma IZZO D‘AMICO ist als Elisabetta
mehr „Lilie“ als „von Valois“, rührend unbeholfen, ein verirrtes Mädchen
unter Weltbesten. Einige Phrasierungen im Piano ließen begreifen, warum sie
Karajan bei seiner Vorliebe für etwas unpersönlich instrumental geführte Stimmen
engagiert hat. Ob sie je ein strahlendes Forte gewinnen wird? Im Salzburger „Don Carlos“ geistert nicht nur Carlo Quinto umher,
sondern auch „II Re di Bassi“, Nicolai GHJAUROV, Philipp in fünf Saisonen.
Jeder, der ihn hören durfte, wird spätere Rohleninterpreten an ihm messen:
Ferruccio FURLANETTO könnte Majordomus des Escorials sein, singt aber diesmal
den Philipp und in seiner Stimme geht die Sonne nicht auf. Wer in Spanien das
Sagen hat, machte gewaltig, aber ganz ungefährlich Matti SALMINEN als Großinquisitor
deutlich. „Sic transit gloria mundi“ meditierte an diesem Abend nicht nur der
Mönch (Franco DE GRANDIS schwacher Baß erklärte den Thronverzicht), sondern
auch das Publikum, erinnerte es sich an die großen "Don Carlos"-Abende
mit Ghjaurov/Freni und die Wagner-Premieren der 60 und 70er Jahre. Aber es
wußte auch, was die Welt an dem Musiker Karajan hat, was sie ihm verdankt:
das Auditorium erhob sich, als der große alte Meister vor den Vorhang trat
bei diesen seinen vielleicht letzten Osterfestspielen. KA |
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