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Orpheus 4/1980

LONDONER OPERNSZENE

von KENNETH SEGAR

 

Es ging angenehm zu bei der Wiederaufnahme von Jules Massenets „Werther“ am 21.1.80 im Royal Opera House Covent Garden.

FREDERICA VON STADE hat das Problem zu lösen: kann sie so großartig singen, wie es das Reklamemedium will? Aber tatsächlich gelangen ihr reiner, warmer Gesang und ausgezeichnete Höhen und Tiefen ohne Registerwechsel. Wo eine vollblütige Artistin sehr leicht in die falsche Carmen-Manier geraten kann, war hier das besondere Vergnügen, eine überzeugende vokale Charakterisierung zu bekommen. Auf der anderen Seite neigte JOSE CARRERAS dazu, einen leidenschaftlicheren Cavaradossi zu bieten. Zugegeben, es tat gut, ein bißchen Drama in die gefühlvolle Sache zu bringen; auch stattete er seine französische Phrasierung mit elegantem Ton, gefestigter Tiefe und „mirabile dictu" — einem echten Mezzavoce — aus. ISOBEL BUCHANAN wiederholte ihr genau beobachtetes Naturkind Sophie, JONATHAN SUMMERS seinen gutbürgerlichen Albert. Als Le Bailli trug ROBERT LLOYD Solides bei, seine weniger biederen Freunde Johann und Schmidt gaben PAUL HUDSON und JOHN DOBSON mit überschäumender Musikalität. Unter der Leitung von SIR COLIN DAVIS ließ das Orchester die Partitur äußerst differenziert klingen: der Dirigent fand lyrische Feinheit, spaßige Kontraste und auch volle dramatische Kraft. Holz und Blech kamen seinen Absichten besonders gern entgegen.