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Don Carlo - Zürich - 20.Januar 1977 |
Schweizer Modelle: Beispielhafte |
Von Imre Fabian |
Verdis « Don Carlos» in einer erstklassigen,
schallplattenreifen Solistenbesetzung, mit Sänger-Darstellern im Dienste des
Musikdramas, klug geführt in einer Inszenierung, die menschliche Schicksale
und Konflikte in gegebenen historischen Situationen aufzeigt und nicht
dekorative Prunkoper auf die Bühne stellt — eine herausragende Produktion des
Genfer Theaters; .Monteverdis «Incoronazione di Poppea» in Zürich, ein
musiktheatralisches Ereignis ersten Ranges, in vorbildlicher Zusammenarbeit
zwischen dem Dirigenten Harnoncourt und dem Regisseur Ponnelle als auf- und
anregendes Musiktheater demonstriert: Modelle für ein intelligentes,
anspruchsvolles, kritisches Musiktheater, in denen sich musikalische und
szenische Qualität auf gleicher Ebene präsentiert. Zwei Beispiele kluger,
künstlerisch erfolgreicher Theaterarbeit. |
Ein Fest der Stimmen, aber keine Prunkoper «Don Carlos» nicht als Hommage an die französische Grand Opéra,
sondern als ein zentrales Stück des Dramatikers Verdi. Die Personen des
Dramas sind in dieser Interpretation alle Opfer einer historischen Situation
im Machtkampf zwischen Kirche und Staat: Opfer ihrer gesellschaftlichen
Stellung. Der in seinen Entscheidungen schließlich doch unfreie, in seinen
persönlichen Gefühlen gekränkte König Philipp genauso wie die den Staatsinteressen
geopferte Königin und der Infante Don Carlos, der Idealist Posa nicht weniger
als der im Sinne eines streng dogmatischen Denkens konsequent handelnde
Großinquisitor, ein Gefangener seiner Ideologie. Die großen, leidenschaftlichen Gefühle, die oft zerstörerischen und
selbstzerstörerischen Emotionen wie Liebe, Freundschaft, Patriotismus, der
Drang nach Freiheit sind die zentralen Themen des Operndramatikers Verdi auch
in diesem Werk, trotz der großen theatralischen Geste, trotz der unverkennbaren
Züge der Großen Oper in der Dramaturgie des «Don Carlos». Daß man sie nicht
verleugnen muß, ja nicht kann, weiß der Regisseur Riber sehr wohl. So fehlt
es dieser Genfer Inszenierung keineswegs an theatralischem Glanz im guten
Sinne des Wortes, am Gestus der effektvollen Massenszenen, die der Regisseur
nicht opulent ausbreitet, sondern zur Vertiefung, zur Verschärfung der
dramatischen Situation benutzt, wie etwa die Szene des Autodafés, für die ihm
der Bühnenbildner Josef Svoboda nach historischen Vorbildern den Rahmen
schuf. Das historische Spanien Philipps II. und der Zeit der Inquisition ist
in jedem Bild, inspiriert von den großen Meisterwerken der bildenden Kunst
jener Zeit, präsent. Ein Beispiel dafür, wie ein Bühnenbild ihre Funktion in
der visuellen Kraft, Atmosphäre zu schaffen und nicht einen konkreten
Handlungsort zu definieren, erfüllt, ist die große Szene im Escorial, mit dem
monumentalen Fresken-Ausschnitt im Hintergrund. Es hat keine konkrete,
sondern eine atmosphärische Funktion. In der Deutung der Schluß-Szene, die
Verdi mit den Worten Karl V. offen läßt, geht Riber einen Schritt weiter: Don
Carlos wird, ohne die Klausur zu erreichen, von bewaffneten München ermordet.
Kein verklärender Schluß wie üblich, sondern die konsequent bis zum Ende
durchdachte Tragödie, eine auf den ersten Blick verblüffende, aber im Grunde
vertretbare und logische Interpretation.
Auf der Bühne ein Fest der schönen Stimmen ohne Selbstgefälligkeit.
Nicht Gesang als Selbstzweck, keine eitlen Stars, sondern Sänger-Darsteller
mit schauspielerischer Intelligenz. Ruggero Raimondi als ein Philipp großen
Formats, ein Raisonneur als Staatsmann, ein nach unbedingtem Gehorsam
verlangender Herrscher und ein fühlender, auch gebrochener Mensch zugleich.
Der spanische Tenor José Carreras ist dabei, nach einer Blitzkarriere den
obersten Gipfel zu erobern. Seine herrlich fundierte, tragende,
ausdrucksstarke, allmählich auch die Piano-Domäne souverän erobernde,
hervorragend geführte Stimme und eine prächtige Bühnenerscheinung machen ihn
zum idealen Don Carlos: ein leidenschaftlicher, temperamentvoller,
suggestiver Sänger, der die ganze Ausdrucksskala der Partie zwischen
Zärtlichkeit, Resignation und Verzweiflung, Liebe, Freundschaft und Revolte
durchmißt. Ihm zur Seite der mehr emotionell-intuitiv erfaßte, aber sehr für
sich einnehmende Posa des stimmlich bestens disponierten Matteo Manuguerra. Katia Ricciarelli, in der Münchner Festspielaufführung noch eine
ziemlich einschichtige, fad und bedeutungslos erscheinende ‘Elisabeth,
überzeugte sowohl als stimmlich immer mehr an dramatischer Ausdruckskraft und
Volumen gewinnende Sängerin, wie auch als feinfühlige Darstellerin. Eva
Randova war die bildschöne Eboli, mit viel Charme, Temperament und Noblesse.
Eine ausgezeichnete Sängerin mit Ausstrahlung, deren Stimmtimbre beim
Registerwechsel ein wenig abfärbt. Luigi Ronis Großinquisitor imponierte mit
seiner ausgeglichenen, sonoren, obertonreichen Baßstimme wie auch mit der
schauspielerischen Gestaltung der Partie, eines mächtigen, seine Sonderstellung
stets betonenden und behütenden Kirchenfürsten. In den kleineren Rollen
bestätigten sich Anne Conoley als Tebaldo, Francisco Vergara in der Rolle
Karls V. und Monique Delassus in der Partie der Stimme des Himmels. Verdis
«Don Carlos» ist nicht zuletzt eine anspruchsvolle Choroper. Der von
Paul-Andre Gaillard einstudierte Genfer Opernchor bewies auch diesmal seine
Qualitäten. Jesus Lopez-Cobos, der musikalische Leiter dieser Neuinszenierung,
bestätigte seinen guten Ruf auch als Verdi-Dirigent. Angenehm fiel seine
Arbeit mit dem in letzter Zeit eher durch seine Mittelmäßigkeit auffallenden
Orchestre de la Suisse Romande auf. Er war auch den Sängern ein
ausgezeichneter Partner. So ist die faszinierende Ensembleleistung dieses
Abends seinem weniger im Detail als in der Gesamtwirkung überzeugenden
Dirigat zuzuschreiben. VERDI: .DON CARLOS.. Premiere
am 20. Januar 1977. Besuchte Vorstellung am 27. 1. Musikalische Leitung:
Jesus Lopez-Cobos; Inszenierung: Jean-Claude Riber; Bühnenbild: Josef
Svoboda; Kostüme: Jarmila Konecna; Chöre: Paul-André Gaillard. Solisten: Ruggero Raimondi (Philipp II.), José
Carreras (Carlos), Matteo Manuguerra (Posa), Luigi Roni (Großinquisitor),
Francisco Vergara (Karl V.). Katja Ricciarelli (Elisabeth), Eva Randova
(Eboli), Anne Conoley (Tebaldo), Dominique Charlier (Prinzessin Aremberg),
Robert Gambill (Graf Lerma), Monique Delassus (Stimme des Himmels), Etienne
Bettens, Michel Bouvier, Francois Castel, Pierre-Michel Golay, Francois
Moser, André Riz-a-Porta (Abgesandte von Flandern). Orchestre de la Suisse Romande. |
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