Oper und Konzert 3_1986 |
Carmen 19.1.1986 |
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Maja gleicht sie, diese Senorita Carmencita, mit
den schwarz-gekräuselten Goya Locken. Agnes BALTSA spielt einen wahren
Teufelsausbund an Frauenzimmer, verlockend in jeder Faser ihres biegsamen Körpers,
sündig in jeder Note ihres gesungenen Farbenspiels von weiblichen
Möglichkeiten. Wenn sie in Karajans Salzburger Aufführung zu einer
andalusischen Schwester einer griechischen Schicksalsgöttin wurde,
verhängnisvoll wie die Nemesis auf Don Jose zuschritt — dann ist sie hier
eine verspielte Raubkatze, in die Liebe und ins Leben verliebt. Sie spielt
das Individuelle im Typ „femme fatale“, tendiert nicht mehr wie bei Karajan
zu einem erotisch verhängnisvollen Mysterienspiel von der Unausweichlichkeit
in Liebe und Tod. Wohl Liebe auf den ersten blick, aber Verführung auf Zeit.
In Zürich nützt Agnes Baltsa die Chance, ohne Karajans übergeordnete Idee der
Gestalt alle denkbaren Nuancen des Weiblichen zu singen: ihr ironischer
Konversationston sprüht vor Leben, Leichtsinn, Koketterie, sie kann die
Mannsbilder demütigen und sich in Liebe verströmen, sie kommandiert und
gehorcht, sie lockt und stößt ab, verspricht und versagt. Manchmal ist die
Stimme füllig wie eine Orgel, dann gerät die Seguidilla zum Chanson, bevor
sie ins Triumphlied über die wiedergewonnene Freiheit ausbricht. Und in der
Schlußszene hat sie eine Gewalt, daß sie erschaudernd macht. Die Carmen der
Agnes Baltsa ist eines der großen Theaterereignisse unserer Zeit. Don José sieht Jean Pierre PONNELLE als einen hoffnungslos Verliebten,
aber auch gewalttätig Verliebten, nicht als blauäugiges Opfer seines
Verfallenseins: wenn Carmen ihn aufs Blut reizt bei dem Wiedersehen nach dem
Karzer, dann krallen sich die Hände um sie, als wolle er sie erwürgen — und
es ist kein Schwächling, der gleich darauf den gefesselt wehrlosen Leutnant
in kalter Wut absticht. Welch disparate Seelenlandschaften in diesem so oft
zum einfältigen Tölpel Verurteilten leben, kündet Jose CARRERAS mit einer
aller Schattierungen mächtigen Stimme. Er ist auch in dieser Galavorstellung
zu abenteuerlichen Frankenpreisen kein Stimmverwalter an der Belcantobörse,
sondern ein Singschauspieler mit vollstem Engagement. Eine etwas schrille, in Haarpracht und Seele allzu blonde Micaela sang
Beatrice HIEHOFF, Jean Philippe LAFONT ist ein sehr viel versprechender
Bariton (Escamillo), unter den Nebenrollen fiel besonders Ruth ROHNER als
Frasquita auf, und staunen durfte man, was ein so altverdienter Sänger wie
Fritz PETER noch zu leisten imstande ist. Sah man Ralf WEIKERT beim Dirigieren zu, dann wußte man, welch eine
packende „Carmen“ er dirigieren könnte, folgte ihm das Orchester. Aber da
fehlte es trotz seines federnden Schlags an exakter Rhythmik, es war nicht
direkt unpräzise, aber verwaschen. Die Holzbläser gaben sich wenig Mühe, ihre
Kantilenen im dritten Vorspiel seelisch auszuloten, man blies halt so vor
sich — wie man halt die ganze Partitur so „abspulte“. Zwischen dem Engagement
der beiden Protagonisten auf der Bühne und dem musikalischen
Vergegenwärtigungswillen des Orchester lag eine Welt. Ralf Weikert hat da
noch viel zutun... KA |
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