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Oper und Konzert 10/1985

Opera e Stars per l‘Africa - 18.8.1985

Arena di Verona

 

Als Pendant zu dem weltweit im Fernsehen übertragenen englisch-amerikanischen Rock-Festival zugunsten der afrikanischen Hungerhilfe (heuer im Frühsommer) veranstaltete die Intendanz der Arena von Verona auf Initiative von José CARRERAS ein prominent bestücktes, 4 1/2 Stunden dauerndes Mammutkonzert zum gleichen guten Zweck. Allerdings litt der Abend unter manchen Pannen (von dem gegenüber der Ankündigung im Festspiel-Almanach um eine halbe Stunde vorverlegten Beginn über mangelhafte Informationen und Beleuchtungskalamitäten bis hin zu zahlreichen Absagen). Viele berühmte Sänger waren dem Ruf ihres Kollegen Carreras gefolgt, viele, die noch auf der dem Publikum anstelle eines Programms in die Hände gegebenen Namensliste ausgedruckt waren, blieben fern (so Giacomo Aragall, Nicolai Ghiaurov, James King, Veriano Luchetti, Eva Marion, Hermann Prey, Mietta Sighele, Gösta Winbergh, die Geigerin Anne Sophie Mutter und der Pianist Rudolf Buchbinder), und andere zogen ihre bereits publik gemachte Zusage offenbar schon früher zurück (z. B. Luciano Pavarotti, Enio Moricone, Elton John, Shirley Bassey und die Schauspieler Burt Lancaster und Franco Nero). Glanz blieb für das Festkonzert dennoch genug!

Geboten wurde eine kunterbunte Vortragsfolge, in der Highlights aus Verdi-Opern überwogen. Die orchestrale Begleitung hatten das Radio-Sinfonieorchester Turin und das Philharmonische Orchester Kattowitz unter der routinierten Leitung von Carlo FRANCI übernommen, der bei vier Nummern den Stab an seinen solid und zuverlässig dirigierenden Kollegen Robert PATERNOSTRO abgab.

Eine mit verblüffenden Fermaten, Rubatis und Blechbläserdominanz „angereicherte" Wiedergabe von Wagners „Tannhäuser“Ouvertüre eröffnete das über 30 Nummern umfassende, von den Schauspielern Christopher LEE und FABIO TESTI in nicht gerade deutlich unterrichtender Weise angesagte Programm. Als Nummer 2 kam eine Freude und Wehmütigkeit zugleich verursachende Wiederbegegnung mit dem 64-jährigen einzigen Publikumsliebling Giuseppe di STEFANO, der mit ziemlich brüchig gewordener Stimme und labiler Intonation ein neapolitanisches Volkslied (mit Klavierbegleitung) vortrug. Rosalind PLOWRIGHT und Renato BRUSON gaben dann den Auftakt zum großen Belcantofest (Duett Leonore/Graf Luna). Frau Plowright glänzte zudem mit der zweiten Arie der Elisabeth aus „Don Carlos“, Renato Bruson setzte einen vokalen Höhepunkt des Abends mit der großartig dargebotenen Macbeth-Arie. Stürmischen Applaus ernteten die Baritonisten Giorgio ZANCANARO (herrlich die René-Arie aus „Maskenball“!), Juan PONS (Posas Tod), Christian BOESCH („Non piu andrai“ aus „Figaros Hochzeit“), Sherrill MILNES (auffallend schwach in „Maria“ aus der „Westside Story“, besser bei Stimme im Bajazzo-Prolog); und Ingvar WIXELL (Rigoletto-Arie) sowie die Bassisten Bonaldo GIAIOTTI (sehr stimmschön, aber emotionsarm im Monilog des Königs Philipp), Kurt RYDL (zu grobschlächtig in der Procida-Arie „O mein Palermo“) und Jewgenij NESTERENKO (mit der sehr pointiert gestalteten Verleumdungs-Arie). Das Tenorfach vertrat—als Einziger neben Giuseppe di Stefano — mit Bravour und Glanz Jose GARRERAS mit der Arie des André Chenier, mit „Tonight“ aus „Westside Story“ (am Klavier begleitet von Udo JÜRGENS, der mit zwei eigenen Liedern bestens ankam und im Unterhaltungsteil des Abends „absahnte“), mit dem italienischen Lied „Cor ingrato“ und im Brindisi aus „Traviata“ (zusammen mit der besonders umjubelten Montserrat CABALLÉ sowie dem Publikum im Chorpart).

Natalia TROITSKAJA sang das Gebet der Tosca mit Gefühl und Sopran-Glamour, Zdislawa DONAT ließ die Stakkato-Koloraturen der „Königin der Nacht“ raketengleich in den Sternenhimmel aufsteigen, Gwyneth JONES trumpfte mit sieghaftem Strahl und einigen stimmhohen Härten in einer Arie aus „Turandot“ und in dem Song „Memory“ aus Andrew Lloyd WEBBERS Musical „Cats“ auf (hier und bei einem Ausschnitt aus seinem „Requiem“ stand der englische Erfolgskomponist selbst am Dirigentenpult), Sona GHAZARIAN setzte sich allzu stimmzart für den Csardas aus der „Fledermaus“ ein, und Montserrat CABALLÉ verzauberte mit den schwebenden Pianissimi und der Leichtigkeit der Ton-Arabesken in „Casta diva“ aus Bellinis „Norma“, deren Ouvertüre Carlo Franci mit der Kattowitzer Philharmonie robust und effektsicher zu Gehör brachte. Die einzige Altistin des Abends war Agnes BALTSA mit der faszinierend lasziv geträllerten Seguidilla aus „Carmen“ und einer hochvirtousen Koloratur-Arie (aus Rossinis „Italienerin in Algier“).

Von den vorgesehenen Instrumentalisten trat nur der bulgarische Pianist Alexis WEISSENBERG auf, der Debussys „Clair de lune“ und Bachs Choralvorspiel „Jesu meine Freude“ mit so subtil differenziertem Anschlag in die Tasten „streichelte“, daß sich der farbig schillernde Klang des Flügels in dem Riesenrund der Arena manchmal schier verflüchtigte.
Am Schluß gab es ein wohl einmaliges Kuriosum: alle Gesangssolisten taten sich zum Gefangenen-Chor aus „Nabucco“ zusammen, der in so hochkarätiger Besetzung sicher noch nie erklungen ist! Das Publikum, das die Arena leider nur knapp zur Hälfte füllte, wußte das singuläre Ereignis zu würdigen! nn.