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Opernwelt 11/1988

Der große Carreras-Abend in der Wiener Staatsoper

 

 

Ist je ein Sänger in diesem Haus so gefeiert worden? Freilich waren besondere Kräfte im Spiel, als José Carreros an diesem 16. September zum erstenmal seit seiner schweren Erkrankung wieder außerhalb seiner Heimat, wieder in einem Opernhaus sang. Das Wunder einer Stimme traf zusammen mit dem Wunder einer Genesung. Zwanzigtausend Kartenbestellungen sollen vor dem Konzert eingelangt sein, von denen — da auch der Bühnenraum mit Zuhörern besetzt wurde — rund ein Achtel berücksichtigt werden konnten. Und viele Menschen haben sich eine ganze Nacht lang angestellt, um Stehplätze zu erhalten. Das Konzert wurde über einen Eidophor ins Freie übertragen, auf der Seite der Kärntnerstraße, sowie live vom Österreichischen Fernsehen, so daß die Zahl der Zuhörer, die «dabei» waren, in ein Vielfaches potenziert wurde; Carreras hatte an diesem Abend wohl ein Millionenpublikum. Und daß im Fernsehen mit einer hochaktuellen Sportsendung gewartet wurde, bis das Konzert nach andauernden standing ovations und vier Zugaben zu Ende war, ist ein kleines Wunder für sich.

Das eigentliche Wunder ist noch immer die Stimme, zu deren Schönheit nun ein verinnerlichter Ausdruck getreten ist, wie man ihn bisher bei Carreras gar nicht gekannt hat. Wunderbar, wie er das drei Stunden lang durchgehalten hat. Er sang, am Flügel begleitet von Vincenzo Scalera, Lieder in drei Sprachen: von Jules Massenet, Reynaldo Hahn und Gabriel Fauré auf französisch, von Joaquin Turina und Tata Nacho, einem hiermit wohl erstmals im mitteleuropäischen Raum vorgestellten Mexikaner, auf spanisch, von Puccini (drei Lieder aus der Jugendzeit), Liszt (drei Petrarca-Sonette) und Francesco Paolo Tosti auf italienisch; damit war nach den mancherlei Raritäten am Schluß auch dem Populären Raum gegeben. Der «Ultima canzone» folgten die Encores, darunter *Liszts «Ich liebe dich». Das war wohl die Erwiderung der Liebeserklärung, die das Publikum Carreras an diesem Abend entgegenbrachte.

Am Tag zuvor war der spanische Tenor von Ministerin Hilde Hawlicek zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt worden, an dem er in fast hundert Vorstellungen gesungen hat, zum erstenmal 1974 als Herzog in «Rigoletto»; seine letzte Premiere vor der Erkrankung galt dem «Werther» im Dezember 1986.
M. B.
* Grieg