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Oper und Konzert 1/1982

Rares Belkantowerk umjubelt 

HAMBURGISCHE STAATSOPER

Verdis „Luisa Miller“  Aufführung 14. 11. 1981

Seit der längst legendär gewordenen Hamburger .‚ Lucia“ mit der Sutherland vor jetzt zehn Jahren lassen sich die größten Jubelpremieren des Belkanto in Hamburg an den Fingern aufzählen
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Dies alles durfte man für Stunden aus dem Bewußtsein verdrängen und sich einmal wieder, wenigstens was die musikalische Seite angeht, einem Jubelfest hingeben, das dem oben genannten Ausnahmerang entsprach. (Daß manche Repertoireaufführungen der letzten Wochen in Teilen lukrativ besetzt waren, sei hier nicht verschwiegen.) Szenisch ging es allerdings karg zu: Dem als Regisseur und Bühnenbildner debütierenden Luciano Damiani kann keine genügende Rechtfertigung durch die defekte Bühnentechnik dafür zugebilligt werden, daß er die Inszenierung nur mit Hilfe abwechselnd schräger, völlig starrer Bühnenebenen ohne jede lokalisierende Andeutung ausgeführt hat, mit dem einzigen, wohl eigens erfundenen Hilfsmittel: einer malerisch dekorierenden Riesengardine vom Schnürboden, als Zwischenvorhang dienend, dann luftig wehend, nach hinten und vorn zu ziehen, auch mit einem wichtigen Loch als Eingang für den ganzen Chor versehen, mal von den Akteuren beiseite zu ziehen und schließlich sogar auf den Boden ausgestreckt als Untergrund für die längste Arie des Abends in verlorener Umgebung zu verwenden. Anfangs war man verblüfft über die nichtssagenden Wirkungen dieses Monstrums von Lappen, bald aber fand man ihn entbehrlich. Dabei kann man sich diese Effekte auf genau 22 (!) Seiten, gleich einem Drittel des Programmheftes nochmals vor Augen führen. Die bestimmt nicht ohne Geschmack gemachten Bühnenflächen ermöglichten dem Chor nur Auftritte fast oratorisch starr auf hoher Mauer oder hinter Podien kaum sichtbar. Kurz gesagt: der ehrenvoll mißlungene Versuch der Stilisierung einer Oper, die doch so viel Leidenschaftlichkeit zum Inhalt hat welche auf der Bühne keine Entsprechung findet, ohne jedes Naturmoment und in einem Raum ohne Andeutung von Ort und Zeit, eine Unverbindlichkeit, gegen die die Sänger mit bemerkenswerter Darstellungskraft anzuspielen vermochten. So war es denn das einzige Plus dieser in der Personenführung ausdrucksvollen Regie, daß sie die Aufführung als Ganzes wenigstens nicht gestört hat — was nach den noch immer Wut verursachenden Inszenierungen der letzten Spielzeit wie „Aida“, „Wozzeck“ und „Hoffmanns Erzählungen“ schon positiv vermerkt werden muß. Bei wiederholtem Sehen, gar von einem der oberen Ränge, stört einen die erdrückende Wirkung des intensivfarbigen Fußbodens noch mehr — die kontrastarme, intellektuell-kalt konstruierte Szenerie ist nicht geeignet, einem noch unbekannten Werk Lebendigkeit zu verleihen.

„Luisa Miller“ als Werk des „mittleren“ Verdi: der musikalischen Substanz nach wahrhaft meisterhaft wie nur irgendeine der Verdiopern, der Entstehungszahl nach genau in der Mitte (die 14. von 26 Opern des Meisters), dem Datum nach zwischen „ Macbeth“ und „Rigoletto‘ — alles wahrhaft keine Gründe dafür, daß die „Luisa“ erst 132 Jahre nach der Uraufführung ihre Hamburger Erstaufführung erlebte (und auch in Italien zum selten gespielten Verdi gehört). Aber es sind die Gründe der anspruchsvollen Besetzung sowie vielleicht ein in einer ausgezeichneten Erläuterung des Dirigenten Giuseppe Sinopoli im Programmheft dargelegtes, kompositorisch-dramaturgisches Merkmal, das die Oper kennzeichnet: die Synthese einer im ersten Akt noch mehr dem Typus der „Nummern Oper“ folgenden Komposition mit dem Typus der musikdramatisch durchkomponierten Form, die den dritten Akt zunächst ziemlich überraschend von jener Form sich unterscheiden läßt. Und dabei zählt Sinopoli sicher nicht zu Unrecht diesen dritten Akt zum Schönsten, was Verdi überhaupt schrieb, gleichzustellen etwa den Schlußakten von „Aida“ und „Othello“. Und so etwas ist also so unbekannt geblieben!

Vom bekannten Schillerdrama löst sich der Zuschauer rasch, wenn er nur einen kurzen Blick auf den Handlungsfaden wirft, der übrigens musterhaft gut durchgearbeitet ist. Es genügt daher festzustellen, daß Cammarano ein höchst opernhaft-wirksames Libretto aus eigener Gestaltungskraft geschaffen hat, das mit Schiller nur die Grundkonstellation und die Affektbeziehungen gemeinsam hat und den Vergleich damit (auch dies ist im Programmheft minutiös untersucht) und den so andersartigen Opernaspekten nicht zu scheuen braucht. Was denn auch für Verdi zu großartigsten Inspirationen Anlaß gab . . . Völlig entgegengesetzt ist Verdis „Luisa“ dem, was Gottfried von Einem jüngst mit seiner Komposition als Idealfall einer wirklich gelungenen ‚Vertonung“ eines so genial erfundenen Theaterstücks gelungen ist — unverdient und unendlich bedauerlich ist, daß Hamburg diese Aufführung vor drei Jahren so lieblos schnell wieder vom Spielplan verbannt hat: jetzt sollte sie als Gegenüberstellung von höchstem Interesse zur Verfügung stehen — welche vertane Chance der Pflege wirklichen Musiktheaters!

Sehr pauschal, aber vielsagend darf festgestellt werden, daß eine bessere Besetzung in allen den sechs anspruchsvollen Hauptpartien gleichzeitig an einer Bühne heute kaum denkbar ist: nicht bei den Bässen Graf von Walter (Ruggero Raimondi) und Wurm (Richard Curtin), dem väterlichen Leo Nucci als Miller und sicher auch nicht ohne weiteres bei dem Paar José Carreras als Rodolfo und Katia Ricciarelli als Luisa, der man nur etliche ihrer Koloraturen vereinfacht hatte. So übertrifft denn die gute Besetzung hier eher noch die Schwierigkeit, eine solche etwa für „Don Carlos“ zu finden: zwei gleichrangige Bässe für das Duett der schwarzen Intriganten im zweiten Akt — Raimondi und Curtin beide gleich hervorragend, die vertrackte Partie des Rodolfo, gipfelnd in seiner Arie, die selbst bei Verdi kaum Parallelen hat — Carreras in bester Form, bei der man ihm winzige Nervositäten nicht ankreiden sollte, und schließlich die Luisa: eine besonders schwierige Partie, ins lyrische, dramatische und Koloraturfach zugleich reichend (die Partie fehlte erstaunlicherweise selbst im Repertoire der Callas wie der Sutherland). Katia Ricciarelli war in der Premiere zuweilen noch etwas vorsichtig im Tonansatz, dafür aber in allen Lagen gleich schön klangvoll und auch den Wechsel von lyrischen zu dramatischen Teilen der Partie überlegen beherrschend. Dies alles mit beseeltem Spiel einer jugendlichen Darstellerin zu verbinden, wie es Frau Ricciarelli gelingt, macht eben die kaum realisierbare Schwierigkeit der Partie aus. Bis zum Duett des letzten Aktes hin gab sich dieses Paar, um nur dieses Beispiel aus der Aufführung vom 14. 11. zu nennen, sängerisch voll aus, wie die Premiere eine Aufführung ohne toten Punkt, vervollständigt durch den meist diskret als Klangkulisse geführten Chor, einstudiert von Jürgen Schulz, und Marjana Lipovsek als Herzogin. Sie alle hätten nicht zu einer solchen durch soviel Beifall begleiteten Aufführung gefunden, wäre es nicht gelungen, Giuseppe Sinopoli als unbestrittenen Meister für gerade diese Art von Verdi-Opern ans Pult zu bekommen. Wie er das Werk bis zum letzten Detail zum Klingen bringt, ist rundum herrlich und läßt das eminente Werkverständnis erahnen, das er in seinen schon genannten Textausführungen beweist und das einer bewußt langsamen Reife des in seinem Fach noch jungen Maestro entspringt. Acht Aufführungen sind angesetzt, fraglich nur, ob sie bei unvermeidlichen Umbesetzungen auch so glänzend ohne jede Kürzung über die Bühne gehen werden. GS