Oper und Konzert 1/1982 |
Rares Belkantowerk umjubelt |
HAMBURGISCHE STAATSOPER |
Verdis „Luisa Miller“ Aufführung 14. 11.
1981 |
Seit der längst legendär gewordenen Hamburger .‚
Lucia“ mit der Sutherland vor jetzt zehn Jahren lassen sich die größten
Jubelpremieren des Belkanto in Hamburg an den Fingern aufzählen „Luisa Miller“ als Werk des „mittleren“ Verdi: der musikalischen
Substanz nach wahrhaft meisterhaft wie nur irgendeine der Verdiopern, der
Entstehungszahl nach genau in der Mitte (die 14. von 26 Opern des Meisters),
dem Datum nach zwischen „ Macbeth“ und „Rigoletto‘ — alles wahrhaft keine
Gründe dafür, daß die „Luisa“ erst 132 Jahre nach der Uraufführung ihre
Hamburger Erstaufführung erlebte (und auch in Italien zum selten gespielten
Verdi gehört). Aber es sind die Gründe der anspruchsvollen Besetzung sowie
vielleicht ein in einer ausgezeichneten Erläuterung des Dirigenten Giuseppe
Sinopoli im Programmheft dargelegtes, kompositorisch-dramaturgisches Merkmal,
das die Oper kennzeichnet: die Synthese einer im ersten Akt noch mehr dem
Typus der „Nummern Oper“ folgenden Komposition mit dem Typus der
musikdramatisch durchkomponierten Form, die den dritten Akt zunächst ziemlich
überraschend von jener Form sich unterscheiden läßt. Und dabei zählt Sinopoli
sicher nicht zu Unrecht diesen dritten Akt zum Schönsten, was Verdi überhaupt
schrieb, gleichzustellen etwa den Schlußakten von „Aida“ und „Othello“. Und
so etwas ist also so unbekannt geblieben! Vom bekannten Schillerdrama löst sich der Zuschauer rasch, wenn er nur
einen kurzen Blick auf den Handlungsfaden wirft, der übrigens musterhaft gut
durchgearbeitet ist. Es genügt daher festzustellen, daß Cammarano ein höchst
opernhaft-wirksames Libretto aus eigener Gestaltungskraft geschaffen hat, das
mit Schiller nur die Grundkonstellation und die Affektbeziehungen gemeinsam
hat und den Vergleich damit (auch dies ist im Programmheft minutiös
untersucht) und den so andersartigen Opernaspekten nicht zu scheuen braucht.
Was denn auch für Verdi zu großartigsten Inspirationen Anlaß gab . . . Völlig
entgegengesetzt ist Verdis „Luisa“ dem, was Gottfried von Einem jüngst mit
seiner Komposition als Idealfall einer wirklich gelungenen ‚Vertonung“ eines
so genial erfundenen Theaterstücks gelungen ist — unverdient und unendlich
bedauerlich ist, daß Hamburg diese Aufführung vor drei Jahren so lieblos
schnell wieder vom Spielplan verbannt hat: jetzt sollte sie als
Gegenüberstellung von höchstem Interesse zur Verfügung stehen — welche
vertane Chance der Pflege wirklichen Musiktheaters! Sehr pauschal, aber vielsagend darf festgestellt werden, daß eine
bessere Besetzung in allen den sechs anspruchsvollen Hauptpartien
gleichzeitig an einer Bühne heute kaum denkbar ist: nicht bei den Bässen Graf
von Walter (Ruggero Raimondi) und Wurm (Richard Curtin), dem väterlichen Leo
Nucci als Miller und sicher auch nicht ohne weiteres bei dem Paar José
Carreras als Rodolfo und Katia Ricciarelli als Luisa, der man nur etliche
ihrer Koloraturen vereinfacht hatte. So übertrifft denn die gute Besetzung
hier eher noch die Schwierigkeit, eine solche etwa für „Don Carlos“ zu
finden: zwei gleichrangige Bässe für das Duett der schwarzen Intriganten im
zweiten Akt — Raimondi und Curtin beide gleich hervorragend, die vertrackte
Partie des Rodolfo, gipfelnd in seiner Arie, die selbst bei Verdi kaum
Parallelen hat — Carreras in bester Form, bei der man ihm winzige
Nervositäten nicht ankreiden sollte, und schließlich die Luisa: eine
besonders schwierige Partie, ins lyrische, dramatische und Koloraturfach
zugleich reichend (die Partie fehlte erstaunlicherweise selbst im Repertoire
der Callas wie der Sutherland). Katia Ricciarelli war in der Premiere
zuweilen noch etwas vorsichtig im Tonansatz, dafür aber in allen Lagen gleich
schön klangvoll und auch den Wechsel von lyrischen zu dramatischen Teilen der
Partie überlegen beherrschend. Dies alles mit beseeltem Spiel einer
jugendlichen Darstellerin zu verbinden, wie es Frau Ricciarelli gelingt,
macht eben die kaum realisierbare Schwierigkeit der Partie aus. Bis zum Duett
des letzten Aktes hin gab sich dieses Paar, um nur dieses Beispiel aus der
Aufführung vom 14. 11. zu nennen, sängerisch voll aus, wie die Premiere eine
Aufführung ohne toten Punkt, vervollständigt durch den meist diskret als
Klangkulisse geführten Chor, einstudiert von Jürgen Schulz, und Marjana
Lipovsek als Herzogin. Sie alle hätten nicht zu einer solchen durch soviel
Beifall begleiteten Aufführung gefunden, wäre es nicht gelungen, Giuseppe
Sinopoli als unbestrittenen Meister für gerade diese Art von Verdi-Opern ans
Pult zu bekommen. Wie er das Werk bis zum letzten Detail zum Klingen bringt,
ist rundum herrlich und läßt das eminente Werkverständnis erahnen, das er in
seinen schon genannten Textausführungen beweist und das einer bewußt
langsamen Reife des in seinem Fach noch jungen Maestro entspringt. Acht
Aufführungen sind angesetzt, fraglich nur, ob sie bei unvermeidlichen
Umbesetzungen auch so glänzend ohne jede Kürzung über die Bühne gehen werden.
GS |
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