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Orpheus 10/1984

 

Arena di Verona - Carmen

 

In naturalistisch stimmungsvoller und nie überladener Farbgebung, den Arenaquadern angepaßt, zeigte sich dagegen das Bild für „Carmen“ (12. 8.), mit Stadtmauern Sevillas, Tabakfabrik und Stierkampfarena und einer etwas zu weit auseinandergezogenen Schenke. Ein wie von Christo eingepacktes Sevilla gab die Felsenschluchten für die Schmuggler ab, wobei noch dubioser „Schneefall“ unter-stützend wirken sollte. Die geschmackvollen Kostüme in Braun, Schwarz und Weiß mit entsprechenden Zwischentönen charakterisierten treffend. Die Ausnahme brachten die Glitzerkostüme des Balletts im 2. Akt. Die Regie (MAURO BOLOGNINI) blieb konventionell. Der auch nicht mehr neue Einfall der Rückblende (die tote Carmen wird zum entsprechenden Thema des Vorspiels in die Tabakfabrik getragen) war für die Arena verheißungsvoll, blieb jedoch ohne Fortsetzung. Eindrucksvoll die Abgrenzung zwischen Bürgern und Proletariat, doch wurden die Aktionen sogar für Arena-Verhältnisse zu oft zu weit auseinandergezogen. Durch die Verzerrung in die Breite konnte der Chor — trotz guter musikalischer Führung — nicht das geschlossene Klangbild geben. NELLO SANTI hatte häufig Koordinationsschwierigkeiten besonders in den Ensembles (u. a. im Quintett) und bevorzugte oft gedehnte Tempi, die zwar im Vorspiel Carmens Schicksalsthema zum gewichtigen Marche funebre machten, aber andererseits die Lebendigkeit der Partitur vermissen ließen. Erst im letzten Akt kam die geforderte Spannung auf. Bei GAIL GILMORES Realisation der Titelpartie klafften (in allen besuchten Aufführungen — einige andere wurden von der Polin STEFANIA TOCZYSKA wahrgenommen / S. S.-M.) Anspruch und Erfüllung weit auseinander. Die Sängerin setzte ihr grundsätzlich eindrucksvolles Stimm-Material nur rüde und unkontrolliert ein. Neben ordinärer, brustiger Tongebung in der Tiefe stehen dürre, angestrengte Höhen, der Registerausgleich ist mangelhaft. Den Chansoncharakter der Habanera und der Seguidilla vermochte sie nicht zu treffen. In der Darstellung blieb sie vulgär und selbst darin amateurhaft. Das war kein Temperament, das war aufgesetzte Hysterie. Zum ersten Male sang JOSE CARRERAS in der Arena. Sein Jose bewies, daß es in der Arena auf projektionsfähige und nicht auf „riesige“ Stimmen ankommt. Carreras sang völlig unforciert musikalisch auf Linie, blieb dabei vokal wie auch darstellerisch intensiv und sensibel und war damit die herausragende Persönlichkeit des Abends. (NUNZIO TODISCO zeigte später schönes, wenn auch zu lyrisches Tenormaterial / S. S.-M.) GARBIS BOYAGIAN gab einen angemessenen eitlen Escamillo. Stimmlich ist es nicht seine Partie, er hatte Probleme besonders in der tiefen Lage. Auch er scheiterte — wie so viele — an der vertrackten Tessitura der Auftrittsarie. MIETTA SIGHELE war wie stets eine zuverlässige und lyrisch ausdrucksvolle Micaela mit großem Höhepunkt in der Arie (in den folgenden Aufführungen erntete ALIDA FERRARINI in dieser Rolle berechtigten Beifall / S. S.-M.). Die Nebenrollen waren bei den Herren CARLO DEL BOSCO und ORAZIO MORI (Zuniga, Morales) arenaüblich gut besetzt, während das Damen-Duo (namentlich Frasquita) sich mit schrillen Tönen in den Vordergrund drängte.