Bonn - 11.2.85 |
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Die eingesperrte Revolution |
Bonn: Giordanos «Andrea Chénier» in Galabesetzung |
Der Papierform nach hätte es ein großer Wurf
werden müssen. Immerhin konnte Generalintendant Riber für die Titelpartie des
"Andrea Chénier" José Carreras aufbieten, Teresa Zylis-Gara als
Maddalena di Coigny und als Revolutionsführer Gérard gar den großen Piero
Cappuccilli. Natürlich ging es im Vokalen üppig zu. Das war es aber dann auch
schon. Wenn es um lyrischen Belkantoschmelz geht ist ein José Carreras
natürlich voll da. Er kann auch die hier geforderten großen Legatobögen
durchhalten, aber schon bei der zweiten Arie wird man das Gefühl nicht los,
daß hier ein begnadeter Sänger doch über sein Fach hinaussingt, und wenn sich
die Hs und Bs häufen, kommt er auch mal in die Bedrouille. Teresa Zylis-Gara
führt, geschmeidig und weich, bis in alle Gefühlsextreme hinein, ihre hohe
Stimmkultur vor, leider nicht über die gesamte Rollendistanz. Da bringt Piero
Cappuccilli schon anderes Stimmkaliber ins musikalisch-revolutionäre
Rencontre. Er ringt dem chevaleresken Jakobiner echte Gewissens- und
Empfindungsskrupel ab, beherrscht mit mächtigem und verwandlungsfähigen Organ
(das nur in der extremen Höhe manchmal ein wenig verschlissen klingt) die
Szene von Anfang bis Ende. Doch keiner der Secondairs nahm wirklich Profil
an. Dabei wäre mit so tüchtigen Akteuren wie Erich Fiala (Fléville), Pieris
Zarmas in der Rolle des Fouquier-Tinville oder Günter Schneider als Mathieu
durchaus einiges anzufangen gewesen.
Über eine gediegene Regiearbeit ist auch sonst nicht zu berichten.
Jorge Lavelli war wohl der irrtümlichen Meinung aufgesessen, drei so
renommierte Protagonisten würden sich schon zurechtfinden und das Stück so
oder so zum Erfolg führen. Derart sträflich sollte man kein Stück, auch nicht
Giordanos "Andrea Chénier", unterschätzen und sich obendrein noch
nicht einmal die Mühe geben, die Szenenanweisungen wenigstens dem Sinne nach
zu befolgen. Wie bestellt und dann doch nicht abgeholt kam Andrea Chénier zum
Fest der Contessa di Coigny (die Ida Kirilova mit ausgesprochenem Mut zum
Understatement sang und spielte) und erregte durch seine ganz und gar nicht
provozierend vorgetragene Anklagearie so gut wie kein Aufsehen. Fehlstart
also. Kein Wunder, daß der Dichter bald wieder Contenance annimmt und sich so
unauffällig von dannen stiehlt, wie er gekommen war. Wie schwer tut sich
Lavelli — und vielen seiner Zunftgenossen geht es da nicht besser —‚wenn er
einmal ein Stück nicht modernistisch zurechtfassionieren kann und so zu
inszenieren sich vornimmt, wie es im Buche steht. Beim Schäferspiel und dem Ringelreihen des Anfangs gelingt ihm noch
nicht einmal die Karikatur. Schlimmer: aus dem "Andrea Chénier",
der aus Gegensätzen lebt, bleiben die Gegensätze verbannt. Der halbe
Denkmalsturz des zweiten Bildes sollte wohl, zusammen mit dem Fahnenaufgebot,
Revolution signalisieren. Doch ein kühner Chorist rettet das schon halb zu
Boden gestürzte Reiterstandbild vor endgültiger Vernichtung. Denkmalschutz
und Theaterrevolution werden gleichzeitig geprobt. Und Max Bignens
unglückselige Idee, den Ballsaal des gräflichen Schlosses auch für alle
anderen Bilder mehr schlecht als recht umzurüsten, schien lediglich dazu
angetan, so etwas wie Eigenwille bei der Lokalisierung der Revolution im
Schloß zu bekunden. Hätte doch wenigstens im Orchester alles gestimmt. Gianfranco Masini,
gewiß ein profunder Kenner der späten italienischen Oper, blieb durchgängig
auf direkte Wirkung bedacht, neigte allerdings zur Zerstückelung der großen
Linien und schien sich erst bei derben Tutti-Schlägen und dramatischem Furor
so recht wohlzufühlen. |
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