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Oper und Konzert 9/1979
Aida 
Salzburg 
10. 8. 1979
Eigentlich weiß ich nicht mehr, was alle, die die sogenannte „öffentliche Meinung“ formen, von den Regisseuren wollen. Gehen sie zu weit vom Werkgeist und den Intentionen des Autors ab, so werden sie gescholten, wenn sie sich an die Vorstellungen der Schöpfer halten, werden sie gerügt. Ich glaube nun sicher nicht, daß Herbert von Karajan unbedingt Regie führen muß — eigentlich hätte er Besseres zu tun. Aber wenn man nur die Salzburger Aida beurteilt, kann und soll man ihn nicht verdammen, wie dies massenweise und allenthalten geschehen ist. Denn diese Inszenierung ist so, wie ich mir wünsche, daß junge Generationen und alle, die das Werk zum ersten Mal sehen — solche Besucher gibt es sicher auch in Salzburg! — es erleben sollen. Es kann mir doch niemand sagen, daß die ersten vier Bilder nicht werkgerecht, ja sogar imposant sind, die richtigen Vorstellungen wecken und der gegebene Hintergrund für Verdis Musik sind. Man kann dem fünften Bild ein Abgleiten in malerischen Kitsch vorwerfen, aber auch hier ist nichts wesentlich Negatives geschehen. Erst im sechsten Bild ist das Eisengitter ein Irrtum, der leicht zu beheben sein dürfte, und über das letzte Bild kann man immerhin streiten. Mein Fall ist es nicht, daß ich mehr Aufmerksamkeit dem versinkenden Grab widme als der herrlichen Musik. Aber immerhin ist dann wenigstens der Auftritt der Amneris, der sonst immer zum „Kampf“ wird, würdig und irgendwie logisch gewesen. Und zeige mir einer d e n Regisseur, der aus den italienischen Protagonisten der Aufführung Singschauspieler des Musiktheaters macht. Also war es a priori richtig, die Sänger erst gar nicht zu strapazieren. Vom Szenischen her war es für mich eine durchaus eindrucksvolle, sinnreiche, stilistisch sichere Aufführung, im zweiten und dritten, ja auch im ersten war sogar dieses allgemeine Niveau noch überschritten. Wenn jemanden Einzelheiten stören, kann man doch nicht die Inszenierung als solche als nicht gelungen bezeichnen.

Allein schon vom Musikalischen her verdiente sie doch wahrlich nicht nur dieses Epitheton, sondern noch einige Superlative mehr. Was Karajan im Orchester mit der Partitur machte, gehörte zum Aufregendsten, was ich bei dieser Oper je erlebte — so viel neue Farben, lyrische und dramatische Werte hat er neu entdeckt. Das stand noch über seiner gewiß großartigen Interpretation der Salome vor zwei Jahren. Und die Sänger: gewiß ist Mirella Freni vom Stimmvolumen keine ideale Aida für den Großraum des Festspielhauses — aber bitte wo ist die Aida, die diese große Stimme und noch dazu die weiteren Vorzüge der Freni hat? Und außer Domingo gibt es wohl keinen Wunsch-Radames, also war das Experiment mit José Carreras am Platz, selbst wenn es nicht so ausfiel, wie es sich Karajan erhoffen mochte. Selbst mit der „idealen“ Besetzung der Amneris wird sich jeder Dirigent, jedes Betriebsbüro, jede Künstleragentur schwer tun. Marilyn Horne war lediglich in der Gerichtsszene allzu weit vom gebotenen Niveau entfernt — man hat bei Festspielen hier und anderswo schon größere Diskrepanzen zur Kenntnis nehmen müssen. Wenn man will, kann man auch an Piero Cappuccillis Amonasro herummäkeln — denn besonders nördlich der Alpen lieben wir einen im Timbre dunkleren, stimmIich kräftigeren Äthiopierfürst als es dieser gewiß treffliche Sänger ist. Aber das sind doch gewiß Einwände, die selbst jene nicht machen sollten, die die hohen Kartenpreise bezahlt haben — die tun es ja am allerwenigsten.

In dieser Aufführung kam es zum ersten Mal zur Umbesetzung der beiden Baßrollen, die dann bis Festspielende aufrechterhalten wurde. Offiziell war sie durch eine Krankheit von Nikolaj Gjaurov begründet, hinter den Kulissen munkelte man von seiner Verstimmung wegen der Tatsache, daß Karajan im nächsten Festspieljahr Raimondi als Ramfis und Gjaurov als König einsetzen wollte. Jedenfalls: Ruggero Raimondi war ein ganz tadelloser, markant wirkender Ramfis und Kurt MolI ein in jeder Hinsicht zufriedenstellender König.

Was man in Salzburg immer wieder nicht versteht, ist die Besetzung der kleinen Rollen: daß für diese Festspiele kein besserer Bote verfügbar gewesen wäre als Thomas Moser? Marjon Lambriks hingegen war eine ordentliche Erste Priesterin.

Wie bei anderen seiner Ballettmusiken — Sizilianische Vesper, Othello, Don Carlos — ist Verdi wahrscheinlich aus Abneigung gegen das Genre auch für die — an sich ganz überflüssigen — Ballettnummern nicht sein Bestes eingefallen. Man sollte auch John Neumeier nicht vorwerfen, daß es ihm nicht anders erging, denn auch für einen guten Choreographen sind diese „Stückerln“ wohl keine schöpferische Provokation.

Und noch etwas: was soll man denn auf dieser Breitwandbühne spielen, wenn nicht eine großzügig konzipierte Aida? PEN