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Opernwelt 9/1979
Zwischen Bühnenweihfestspiel und Hollywood-Schinken
Herbert von Karajan dirigierte Verdis «Aida» im Großen Festspielhaus
«Ben Hur», «Spartacus» und all ihre Brüder aus der Werkstatt Hollywoods lassen grüßen. Regisseur Herbert von Karajan und sein Bühnenbildner Günther Schneider-Siemssen ließen sich von den Dimensionen des Großen Festspielhauses verleiten und produzierten eine «Aida» für die Breitleinwandbühne.

Verdis Oper als Dekoration ihrer selbst, mit einem Aufwand an Monumentalwirkungen, so daß für menschliche Schicksale, für das Drama kein Platz mehr übrig bleibt. So geraten selbst Aida und Radames zu Dekorationselementen auf einem rissigen Relief. In dieser Massendemonstration gehen menschliche Gefühle, zarte, schmerzliche Töne der Liebe, der Eifersucht, der Selbstaufopferung hoffnungslos unter. Wenn Aida und Radames in der Schlußszene von der Welt Abschied nehmen, stehen nicht zwei Liebende im Tode vereint auf der Bühne, sondern zwei Sänger die noch ein Duett zu singen haben Sie entledigen sich ihrer Aufgabe pflichtbewußt, ohne große innere Anteilnahme oder gar Identifikation mit Ihrer Situation.

Der Dirigent Karajan weiß diesen Pauschalwirkungen großartige musikalische Momente entgegenzusetzen, so in der Nil-Szene und im Duett Aida-Radames, orchestrale Feinheiten, die man ansonsten kaum zu Gehör bekommt. Manches, vor allem in den lyrischen Momenten, wird durch Brahms oder Mahler filtriert, vitale Emotionen werden künstlich sublimiert und wirken erhaben wie ein Bühnenweihfestspiel im ägyptischen Gralstempel. Karajan hat seine größten Momente in den impressionistischen Naturstimmungen der Partitur, in der Kunst, auf Sänger einzugehen, sie zu stützen.

José Carreras hat diese Sorgfalt nötig. Zu deutlich gelangt dieser hervorragende Sänger an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten. Zwar kein «Nemorino in Theben» wie eine Wiener Zeitung Mario del Monaco zitierte, sondern ein bedeutender, großer Darsteller der Partie in gar nicht so ferner Zukunft, aber ein Radames in spe, der sich zu früh an diese Rolle heranwagte. Mirella Freni ist eine wunderbare Künstlerin und ein Glanzpunkt auch dieser Aufführung, wenn auch von der Stimmdisposition her keine echte Aida. Die eklatante Fehlbesetzung dieser Aufführung: Marilyn Horne als Amneris. Selbst dem grandiosen Piero Cappuccilli scheint der Amonasro nicht ganz auf den Leib und in die Kehle geschrieben. In der von mir besuchten Aufführung mußte Nicolai Ghiaurov wegen plötzlicher Erkrankung absagen. Kurt Moll war ein glänzend disponierter König, Ruggero Raimondi der prächtige Operpriester Ramphis. John Neumeiers Choreographie gehörte gewiß nicht zu den starken Momenten dieser Aufführung. Ein anscheinend nur in ihrer Kleidung, nicht in ihrer musikalischen Sensibilität festspielreifes Publikum, das öfters schmerzlich in die Musik klatschte, applaudierte am Ende begeistert.

Salzburger Festspiele. Großes Festspielhaus.
VERDI: «Aida», Besuchte Vorstellung am 10. August 1979. Musikalische Leitung und Inszenierung: Herbert von Karajan; Kostüme: Georges Wakhévitch; Choreographie: John Neumeier; Chöre: Walter Hagen-Groll. Solisten: Kurt Moll (König), Marilyn Horne (Amneris), Mirella Freni (Aida), Jose Carreras (Radames), Ruggero Raimondi (Ramphis), Piero Cappuccilli (Amonasro), Thomas Moser (Bote), Marjon Lambriks (Priesterin). 

Imre Fabian