Oper und Konzert 5/1984 |
Andrea Chenier - März 1984 (ab 10/23.02.84 - März) |
LONDON, ROYAL OPERA HOUSE |
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Bei einer Sänger-Oper erwartet das Publikum von
Tradition her die Entfaltung von Stimmpracht. Der Umstand, daß die bei weitem
denkwürdigste Aufführung dieser Oper in Nachkriegs-London vor einigen Jahren
konzertant in der Festival Hall stattfand, spricht für sich selbst. Es war in
der Tat die Spontaneität des Trios Carlo Bergonzi, Martina Arroyo, Sherril
Milnes, welches damals die gewisse elektrische Spannung erzeugte, die, wenn
man sie erlebt, unvergessen bleibt. Eine derartige Sternstunde kann auf
keiner Plattenaufnahme wiedergegeben werden. Daß die gegenwärtige
Covent-Garden-Aufführung an das damalige Niveau nicht heranreicht, sei vorweggenommen.
Der Grund dafür waren wenigstens teilweise Fehlbesetzungen. José Carreras ist
derzeit in erster Linie damit beschäftigt, seine Stimme größer und
voluminöser erscheinen zu lassen als sie wirklich ist. Das Resultat ist, daß
die Zuhörer einen leicht überforderten, guten lyrischen Tenor mit wenig
Individualität zu hören bekommen. Diese fehlende Individualität immer wieder
durch eine Mini-Claque ersetzen zu wollen, heißt, die Gutmütigkeit und den
Humor eines Publikums auf harte Proben stellen. Auch Bernd Weikl nützt sein
herrliches Stimm-Material nur zeitweise aus, und häufig gewinnt man den
Eindruck — leider auch bei der wichtigen Nemico della Patria-Arie —‚ daß hier
ein deutscher Weltklasse-Bariton sich zu sehr anstrengt, wie ein
italienischer Bariton zu singen. Am besten zieht sich Rosalind Plowright als
Maddalena aus der Affäre; ihr dramatisches Singen hat die nötige
verismo-Ausstrahlung. trotzdem fehlt auch bei ihr der Funke, der wirkliche
Star-Qualität von guter Routine unterscheidet. Von den kleineren Rollen
zeichnen sich besonders Richard Van Allen als Mathieu, John Dobson als Incredibile,
die großartige Anny Schlemm als Madelon und Jonathan Summers als Roucher aus.
Hier wieder eine Besetzungskuriosität, da ja bekanntlich Roucher eine
Baß-Rolle ist. Trotzdem eine willkommene Gelegenheit, die Fortschritte dieses
vielversprechenden Baritons zu bemerken.
Michael Hampes ausgezeichnete Kölner Produktion erweist sich in jeder
Hinsicht zweckmäßig indem sie die Motivierung des Dramas klar hervortreten läßt,
ohne Musik oder Sänger zu überschatten.
Richard Armstrongs souverän flüssige musikalische Leitung verhindert,
daß die strukturell an und für sich schwache Oper in separate Nummern
zerfällt. FR |
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