Oper und Konzert 6/1979 |
WIENER STAATSOPER |
Don Carlos (Premiere) |
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Kurz muß die Oper sein — sonst schließen die
Haustüren... Von Verdis „Don Carlos“ gibt es zwei Fassungen: die erste, in
französischer Sprache, fünfaktig mit umfangreicher Einleitung im Wald von
Fontainebleau und großen Balletten, in ihrer Gigantik an Meyerbeersche Werke
erinnernd, hatte 1867 in Paris nur mäßigen Erfolg. Da entschloß sich der
Komponist, für Wien 1884 drastische Kürzungen vorzunehmen. „ Denn“, so
schreibt er, „dort schließen die Hausmeister um 10 Uhr die Haustüren: um
diese Zeit trinken alle Bier und essen Kuchen. Theatervorstellungen haben also
zu Ende zu sein! Zu lange Stücke werden rücksichtslos und schlecht
zurechtgeschnitten, wie in einem x-beliebigen italienischen Theaterstück... Seinem Verlangen nach „Effetto! Effetto!“ entsprachen nun die
Textdichter Méry und Du Locle im französischen und Ghislanzoni im
italienischen Libretto, indem sie Schillers Vorlage und emphatische
historische Verfälschung radikal vereinfachten und um einige Hauptfiguren
verringerten. Nun haben die Initiatoren der Salzburger Festspielinszenierung
das dort seit sechs Jahren erfolgreiche Werk auf Wiener Verhältnisse
zugeschnitten, wobei seine zerfließende Breite auf vorteilhaftere Dimensionen
reduziert wurde. Das dekorative Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen mit zwei
diagonal in den Hintergrund verlaufenden Freitreppen ermöglicht rasche
Verwandlungen durch Zubauten von schmiedeeisernen Gittern, Kathedral- und
Palastportalen oder sakralen Säulenhallen mit arabischen Stilanklängen. Seine
Monumentalität, düster und bedrückend selbst noch in der Gartenszene, dient
als dominierendes dramaturgisches Moment und korrespondiert zur meist
statischen Personenführung. Die Protagonisten beschränken sich im
wesentlichen auf malerische Standphoto-Posen, die durch allzu diffuse
Lichtverhältnisse häufig noch verunklart werden. Erst im 3. und 4. Akt
beleben sich die Aktionen und spiegeln Seelenkonflikte und Gemütsaufwallungen
wider, die vor allem zwei hervorragende Interpreten glaubhaft bis zum
Mit-Leiden veranschaulichen. Solches gelingt zunächst Ruggero Raimondis
hagerem, kantigen König Philipp, dessen Spiel im 3. Akt reue- und liebevolle
Beziehungen zu seiner Frau ausdrückt und dessen stimmliche Präsenz in einer
entsagungsvollen Arie zu erschüttern vermag. Eine gute Höhenführung ersetzt
mangelnde Tiefenschwärze. Den größten Triumph des Abends aber feiert Agnes
Baltsa als leidenschaftlich-schöne Eboli mit einer Kantabilität von Verve und
Wohllaut, mit Temperament und Engagement auch die schwierigsten Partien
meisternd. Die Kürzung ihres „Maurischen Liedes“ ist offenbar ein Zugeständnis
Karajans im Sinne Verdis an die Wiener, die nach Schluß der Oper noch ein
ausgedehntes Abendessen gewohnt sind. Ihr zur Seite die vom Typ her etwas
blassere Elisabeth der Mirella Freni; sanft, aber zu passiv vor allem im
Autodafé-Akt, zeigt sie in der Abschiedsszene mit Carlos edlen Ton und
bewundernswerte stimmliche Intensität, José Carreras verleiht der Partie des
Stiefsohns berückenden tenoralen Glanz, vor allem im wohlabgestimmten Duett
mit Posa, den Piero Cappuccilli als leidenschaftlichen Vermittler und Freund
gestaltet. Seine Sterbeszene bewegt durch echtes Nachempfinden der Situation.
Matti Salminen verkörpert in Ton und Geste die ganze Autorität der spanischen
Kirche des Mittelalters. Seinem Klangkonzept entsprechend hat Karajan im Orchestergraben
bereits in Salzburg bewährte Umstellungen vorgenommen: Vor ihm sitzen zwei
Reihen Holzbläser, an den Seiten Geigen und Bratschen, hinter den Celli das
Blech, das auch im Autodafé hinter einem dünnen Vorhang auf der Bühnenmitte
placiert ist und dadurch einen besonders markanten, schneidenden Akzent
erhält. Hier, in diesem Monumentalgemälde, das Verdi als Konzession an die
„Grande Boutique", wie er die Pariser Oper nannte, schuf, entfalteten
auch die Chöre effektvollen Glanz. Gegenüber Salzburg hat die Wiener Premiere, die willkommenen Ersatz
für eine durch Jahre mühsam forcierte, abgespielte Schenk-Inszenierung
darstellt, an Dichte und Flexibilität gewonnen. Zwischen kultiviertem
Kammerton und leidenschaftlichem Espressivo bietet die Wiener Staatsoper in
vollendet differenzierten Klangabstufungen unter Karajans Stabführung damit
das Optimum musikalischer Möglichkeiten. Grenzenloser Jubel! |
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