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Oper und Konzert 8/1986

Donizettis „Poliuto“ konzertant.

Konzerthaus Wien

(Eröffnungspremiere 6.3.1986)

Ein aufregendes Werk, halb Oper, halb Messe, mit einer nicht minder aufregenden Entstehungsgeschichte: In nur zwei Monaten komponierte der 41 jährige Donizetti, der sich nach seinen großen Opernerfolgen entschlossen hatte, in Paris zu leben, die Musik zu einem Libretto von Cammarone, das Christenverfolgung, Konversion des armenischen Helden Poliuto und dessen Tod in der Löwenarena beinhaltete. Das Werk sollte ein Abschiedsgeschenk für seine Heimatstadt Neapel werden, aber dem König und den Zensurbehörden mißfiel das Thema. Heilige als Opernfiguren waren in Italien unerwünscht, die Grand Opéra in Paris war da weniger kleinlich, stellte aber spezielle Forderungen: das dreiaktige Drama mußte um einen vierten Akt erweitert werden, außerdem verlangten die Franzosen ein zünftiges Ballett. Unter dem Titel „Les Martyres“ fand 1840 die Uraufführung des „Poliuto“ statt, von Donizetti in einem Brief wie folgt kommentiert: „Dir alles zu schildern, was passierte, bis diese Aufführung zustande kam, würde eine Ewigkeit erfordern. Es ist genug, wenn du weißt, daß die Kostümprobe fünfmal verschoben wurde — fünfmal fühlte sich irgendjemand krank; die Premiere fand mit einem heiseren Duprez statt und der Bassist hatte den Arm in der Schlinge... Über den Erfolg will ich nichts sagen, ich sende dir einen Artikel. Weißt du, daß der 3. Akt wiederholt werden mußte? Teufel auch! Einen ganzen Akt wiederholen! Gott schütze uns vor solcher Langeweile...“
Nun, Langeweile kam unlängst im Wiener Konzerthaus nicht auf, wo man die Urfassung, die acht Monate nach Donizettis Tod doch noch im Teatro San Carlo stattgefunden hatte, zu Gehör brachte, die zweifellos auf eine Bühne gehört, aber auch konzertant faszinierte. Dies der Inhalt: Paolina, Gattin des hohen Magistrates Poliuto, trifft ihren totgeglaubten Geliebten Severo wieder. Als Statthalter des Kaisers zwingt ihn das Gesetz, Poliuto, der heimlich Christ geworden ist, zu töten. Von Callistene, dem Hohenpriester des Jupitertempels, aufgehetzt, bezichtigt er Paolina des Ehebruches. Um ihre Schuldlosigkeit zu beweisen, geht sie mit Poliuto ins Gefängnis, bekehrt sich ebenfalls zum Christentum und erleidet mit ihm den Märtyrertod.

Klagende Melodiebögen leiten bereits im sinfonischen Vorspiel in feierlichen Gesang der Chöre über, die einen Hauptanteil der Komposition beanspruchen. Mit weichem Fluß, dynamisch schattierten Schwelltönen und exponierten Koloraturen glänzt KATJA RICCIARELLIS beseelter Sopran. Effektvoll, mit martialischem Einschlag gestaltet JOSE CARRERAS den ungemein dramatischen Part des Poliuto, mitreißend und bewegend vor allem im unerhört gesteigerten Schlußduett. LASZLO POLGAR leiht Callistene seinen profunden Baß, dessen ausladender, getragener Ton mit Verve und Temporaffung starke Wirkung erzielt. JUAN PONS (Severo) zeigt Feuer und Farbreichtum in den betont rhythmisierten Phrasen seiner leidenschaftlichen Bittgesänge. Wenn das Orchester mit donnerndem Unisono in den escalierenden cantus firmus der Chöre einfällt — ein Vergleich mit dem Triumphakt aus Verdis „Aida“ drängt sich auf —ist der Höhepunkt des Abends, vom Dirigenten OLEG CAETANI, den Wiener Symphonikern und dem Chor der Wiener Singakademie in blendender Verfassung getragen, erreicht. Der Beifall entsprach der Lautstärke dieser explosiv-theatralischen Musik.
Dr. Irene-Marianne Kinne