Zum Inhalt/To index
 
 
 
 
Oper und Konzert 5/1979
Salzburg - OSTERFESTSPIELE SALZBURG 1979
Im 13. Jahr
(gekürzt)
Vormittags, nachmittags: „Wir sind da“ Das Salzburger „Don Carlos“-Ensemble mit Mirella Freni, Nicolai Ghjaurov, José Carreras, Piero Cappuccilli, Jules Bastin und anderen ist in allen Kultursprachen seit vier Salzburger Festspielsommern gepriesen worden. Diesmal durfte man zusätzlich bestaunen, daß die Damen und Herren schon um 11 Uhr morgens singen können, wo der Laie Sänger und Stimme noch im Schlafe wähnt — und natürlich auch zwischen 17 Uhr und 18 Uhr 20, obwohl das halbe Ensemble im Gasthof Hirschen zu Parsch dazwischen einen Kampf gegen Cordon bleu und Piccata milanese ausfocht, der an Intensität dem Streit um Thron und Liebe Spaniens wenig nachstand: „plenus venter cantat libenter“ — so ähnlich heißt doch das lateinische Sprichwort?

Mirella FRENI, Hoheit und Liebe, hier ein strenges Unglück, die Gefangene des Escorials, die leidende schöne Seele mit dem betörend süßen Sopran ... Nicolai GHJAUROV, eine Velasquez-Gestalt mit Stock („II re di bassi“ hat man ihn an der Scala genannt schon vor bald 20 Jahren), unerschöpflich in der Stimme wie eh und je, von leidenschaftlich bewegter Farbigkeit in der Arie, ein leidender Mensch: „Don Carlos“ wird mit diesen beiden Einsamen zum Erbauungsstück für Monarchisten.

Piero CAPPUCCILLI, als Posa eher Schwärmer als Fanatiker, ist heute mit seiner ebenso satt tönenden wie subtilster Ausdrucksnuancen fähigen Stimme ein unvergleichlicher Bariton. José CARRERAS ist schon eher ein vergleichbarer Tenor. Nur mit wem? Nicht mit Placido Domingo, denn der hat ein Herz — oder kann zumindest sein Herz in der Stimme offenbaren. José Carreras hat viel Schmelz in seiner wunderschönen Stimme, die hier oft an Grenzen stößt; aber er hat noch nicht die Kraft, eine so zwiespältige Gestalt wie den lnfanten im Gesang zu beglaubigen. Vielleicht ist er der Welt zweitbester Tenor; aber dann trennt ihn eine Welt vom Gestaltungsreichtum eines Placido Domingo. Und nicht nur in seinem Interesse wünscht man, daß er bei Opa Carlo Quinto (sehr bedeutend José van DAM) in San Yuste eine Erholungspause vor dem sommerlichen Radames einlegt. Die internationale Bühne braucht eine so großartige Tenorbegabung wie José Carreras länger als seine Agenten glauben... Jules BASTIN als Großinquisitor war wie immer ausreichend, solange nicht auch Nicolai Ghjaurov sang, hinreißend Anna TOMOWA-SINTOW als Stimme vom Himmel.

Die Sensation der Generalprobe: Agnes BALTSA als Eboli. Ein spektakuläres Material steckt in der zartgliedrigen Griechin: eine eher schlanke als mit typisch italienischen saftigen tiefen Brusttönen ausgeprägte Stimme, tragend in jeder Lage, vollkommen mühelos die blitzeshell strahlende Höhe. Außer Shirley Verrett (Wien 1970) habe ich keine Eboli gehört, die mit den wahnwitzigen Ansprüchen ihrer Arien so mühelos zurecht kam wie Agnes Baltsa. Dabei geht es Agnes Baltsa nie um eine akustische Selbstdarstellung, sondern immer um Rollengestaltung. Diese Eboli bleibt beherrschte Fürstin, ihr aggressives Temperament lodert in der Stimme, äußert sich nicht in furios oberflächlichem Spiel. Sie weiß, daß Verdi für die verhängnisvolle Sinnlichkeit der Eboli die lebendigsten Farben gefunden hat, ob er sie nun graziös plaudern, eine exotisch kolorierte Romanze singen läßt oder wenn er sie in Liebesglut und Zerknirschung schildert: sie bringt das Wesen im Gesang zur Wirkung. Und hier durfte ich einmal in einer Probe erleben, wie Herbert von Karajan auf seine Sänger eingeht. Seinen früheren Ebolis war er Kavalier mit der Devise „Rasch zum Schluß“, denn er wußte um die Schwierigkeiten seiner Sängerinnen. Hier, bei Agnes Baltsa, durfte er ruhig sein, er ließ sie das Tempo bestimmen, begleitete sie; als ihr das hohe Ges gelang wie kaum einem anderen Mezzo es gelingen könnte: da ließ er sie verströmen, paßte sich ihrer Phrasierung an, ihren seelischen Stimmungen (Anfang der Arie sehr verhalten, in sich gekehrt) — und als sie triumphal geschlossen hatte, da war es Herbert von Karajan, der ihn vom Pulte aus herzlich applaudierte. Es war ungeheuer. Die Minuten des Durchbruchs einer Sängerin zur Weltelite. Wer kommt ihr gleich?