Opernwelt 2/1979 |
Anachronistische Regie |
Verdis «Luisa Miller» an der New Yorker Met |
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Verdis «Luisa Miller» kam vor zehn Jahren an die
Met, und Dekorationen (Attilio Colonello), Kostüme (Charles Caine) wie auch
Regiedetails waren durch die charakteristischen Unarten und Stillosigkeiten
jenes ersten Jahrzehnts nach der Eröffnung der neuen Met im Lincoln Center
geprägt. Versucht man sich heute an Abstraktion, nicht immer mit bestem
Gelingen («Die verkaufte Braut» erwies sich als ein höchst widerspenstiges
Versuchsobjekt), so war die Devise von damals: Überinszenierung. Die große
Bühne ist nicht immer ein Segen: was für den «Ring» und «Parsifal» taugt,
kann sich als Verlegenheit herausstellen, wenn man Intimität braucht.
Bäueriches Milieu, beschränkte Verhältnisse fügen sich nicht Riesenaspekten
und atemberaubenden Perspektiven. Aber was man hatte, mußte man benutzen, und
so wird Luisa Miller bei Verdi eine Dorfschönheit, (keine Kleinbürgerin wie
bei Schiller) Bewohnerin eines Hollywoodschen Superdorfes mit
Disney-Einschlag, in dem Prunkkostüme zu jeder Tag-und Nachtzeit getragen
werden und Ballettknaben sich an graziösen Sprüngen üben. Der Präsident haust
in einem düsteren Traumschloß, mit beängstigenden Schrägen, denen man wohl
ansehen soll, daß er nicht auf legitime Weise in sein Amt gekommen ist. Die Kostüme halten sich durchweg in einem Mittelbereich zwischen
phantastisch und bizarr, und geben der Aufführung einen Stich ins
Karnevaleske. Der Höhepunkt von Unsinn und Mißverständnis aber ist ein
Bogenvorbau vor der Bühne, in dem ich ein Publikum von Statisten,
ausgestattet mit Fächern, Juwelen und Edwardischen Vollbärten das Spektakel
ansieht, als wäre «Luisa» eine Oper innerhalb einer Oper, wie Ariadne auf
Naxos». Was immer hier im Kopf des Spielleiters vorging, er saß im falschen
Zug. Man vermutet, daß er so wenig von der Partitur der «Luisa Miller» hielt,
daß er mit allen Mitteln von ihr ablenken wollte. Man braucht Willenskraft,
den selektiven Blick, wenn nicht —gelegentlich — das geschlossene Auge, um
sich nicht blau zu ärgern. Erstaunlicherweise ist es in zehn Jahren niemandem
eingefallen, einige Korrekturen vorzunehmen. Alles ist genau so geblieben wie
es war. «Luisa Miller» ist eine der ergreifendsten Opern Verdis — keine der
besten (unnötig zu betonen), aber gerade in ihrem Stilgemisch liegt etwas
Faszinierendes und Rührendes - die Arien sind vielfach noch junger Verdi,
voll jenes ritterlichen Idealismus, der weder ins Bauern- noch ins Bürgerhaus
hineinpaßt, aber die begleiteten Rezitative sind mit Genieblitzen durchsetzt
wie sonst kaum bei Verdi. Der Schlußakt ist auf der Höhe der «Traviata»
—nirgendwo sonst bei Verdi gibt es Ähnliches wie Ferdinands (Rodolfos)
Eintritt in das Millersche Haus, während Luisa betet und man die Orgelklänge
seiner eigenen präsumptiven Hochzeit hört. Ein Genieblitz dieser Art ist auch
der Anfang des zweiten Aktes (der Chor der Dorfleute berichtet der Tochter
die Gefangensetzung ihres Vaters) —und hier ausgerechnet, wo Intensität und
dramatischer Zug geboten sind, beschloß James Levine, bedächtig zu
dirigieren. Wenn sich dieser hochbegabte junge Mann irrt, dann meistens nach
der anderen Richtung hin — die Ouvertüre nahm er so schnell, daß die
Streicher die Sechzehntelfiguren kaum spielen konnten. Sicherlich gelingt ihm
das Meiste, aber er verläßt sich — vermuten wir — auf seinen musikalischen
Instinkt; ein Schuß Kontemplation würde ihm nicht schaden. Glänzende Besetzung Es wurde glänzend und großartig gesungen —
eigentlich durchweg, ohne Ausnahme. José Carreras war ideal in der Rolle des
Rodolfo — man spürte ihm keine Mühe an, und er hatte auf offener Szene allen
Beifall, den er verdiente. Mario Sereni als Miller — einfach unerhört gut —
der italienische Tränen-Bariton ohne Tränen, eine Stimme, von der man sagen
kann, daß sie nicht weniger lyrisch ist als kraftvoll; gewaltig sowohl wie
gerundet. Katia Ricciarelli war Luisa, und sie meisterte nicht ganz die
Spannweite ihres Parts: in tieferer Lage hatte sie keine Durchschlagskraft.
(Das ist nur als marginale Kritik gemeint — im ganzen war diese Luisa eine
prächtige Leistung.) Paul Plishka sang den Präsidenten («Count Walter») und
John Cheek — hervorragend! — den Wurm.
Noch eine letzte Bemerkung zum Thema Inszenierung. Innerhalb der
letzten zehn Jahre ist Oper in Amerika in das Zentrum ästhetisch-kritischer
Bemühung gerückt. Insbesondere Andrew Porters Opernaufsätze im «New Yorker»
haben eine grundsätzlich neue Situation geschaffen. Der literarische
Hintergrund der Opern des Spielplans ist zum Gegenstand einer Reihe
wertvoller Untersuchungen geworden. Von Schiller war noch nicht allzuviel die
Rede —das Schillerdeutsch, vergessen wir nicht, ist nicht mehr das Deutsch
unserer Tage. Nichtsdestoweniger durfte sich allmählich das Bewußtsein
durchsetzen, daß man in Opernproduktionen die Quelle nicht mehr ganz aus den
Augen verlieren darf. Unter diesem Gesichtspunkt wirkte die
«Luisa»-Aufführung (Inszenierung und Regie) besonders anachronistisch und
«dated». |
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