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Oper und Konzert 10/1980
WIENER STAATSOPER
Die Macht des Schicksals 
4.9.1980
„Die Besucher werden gebeten, die Vorstellungen der Bundestheater in einer dem Anlaß entsprechenden Kleidung beizuwohnen.“ Welchen Habitus hätte die Bundestheaterverwaltung wohl für diese Verdi-Hinrichtung als entsprechend bezeichnet? — Wahrscheinlich kaum Jeans und T-Shirts, in denen mehrere junge Leute zu sehen waren. Der niederschmetternde Eindruck dieses Abends ging zunächst einmal auf das Konto der Szeniker — sicher mag sich in einer sechs Jahre alten Inszenierung so manches abgespielt haben, aber ich bezweifle doch sehr, ob diese lächerlichen Arrangements, für die ein Herr SQUARZINA verantwortlich zeichnet, jemals den Namen Inszenierung verdient haben. Dazu kamen dann noch die völlig nichtssagenden, fast gegenseitig austauschbaren Bühnenbilder von Pier Luigi PIZZI — nach dem Eindruck dieses Abends muß man für unsere neue Münchner ‘Margarete‘ Schlimmstes befürchten. Der nächste Attentäter gegen das Werk war der Dirigent Miguel GOMEZ-MARTINEZ, von dem ich noch nie eine gute Aufführung gehört habe und der an diesem Abend die mäßig inspirierten Wiener Philharmoniker derart routiniert und lustlos dirigierte, daß man nur den Kopf schütteln konnte. Immerhin scheinen die Wiener wenigstens bei Dirigenten ein recht gesundes Qualitätsbewußtsein zu haben; das Buhkonzert beim Solovorhang des Jungstars war eines der lautesten (und berechtigtsten), die ich jemals gehört habe.

Die Sänger hatten es recht schwer, da ihnen sicher keine szenische Unterstützung zuteil geworden war und auch aus dem Orchestergraben keinerlei Inspiration kam — möglich, daß unter diesen Umständen ein illustres Ensemble weit unter Wert verkauft wurde. Anna TOMOWA-SINTOW (Leonora) sang immerhin Lyrisches recht schön, allerdings hätte man sich manches mit mehr Kantabilität phrasiert denken können und mit der mörderischen ‘Pace‘ -Arie schien sie um einiges überfordert. Jose CARRERAS agierte als Alvaro wie ein Provinztenor und jagte mir mit seinen fürchterlich gestemmten Höhen manchen Schauder über den Rücken, immerhin sang er in der Mittellage recht ausdrucksvoll. Juri MAZUROK als Carlos hatte als einziger der drei Protagonisten keine stimmlichen Schwierigkeiten; zwar klang manches recht rauh (an die Phrasierungskunst eines Cappuccilli durfte man nicht denken), aber insgesamt war die Leistung befriedigend. Stefania TOCZYSKA wirkte als Preziosilla wie eine mäßig temperamentvolle Wirtschafterin, daß es sich hier um eine Zigeunerin handeln sollte, mußte man in der Inhaltsangabe nachlesen. Stimmlich war sie souverän wie immer. Der Chor im Soldatenlager begnügte sich mit gelangweiltem Notenabsingen, seine Szene im dritten Akt erweckte eher Assoziationen an einen Klosterhof zur Mittagspause, so daß die erbitterte Melitone-Ansprache dramaturgisch völlig unmotiviert wirkte. Nun, Reid BUNGER hielt auch keine Kapuzinerpredigt, sondern deklamierte den Text mit hochkomischem, fast an die berühmte ‚Jobsiade‘ von Wilhelm Busch erinnerndem Pathos. Stimmlich machte er das immerhin relativ erträglich, so daß das laute Buhkonzert für ihn als recht deplaziert bezeichnet werden muß. Labsal brachte einzig und allein der herrliche Baß des Paters Guardian — daß man hier von Kurt MOLL erheblich mehr Noten hören konnte als in München, war so ziemlich das einzig Erfreuliche an dieser schrecklichen Aufführung. Man wußte der Staatsoper an diesem Abend ansonsten wenig Dank dafür, daß die meisten traditionellen Striche geöffnet waren — man wäre bei diesem Niveau des Musizierens eher um jede Note froh gewesen, die man nicht gehört hätte. HSt.