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Oper und Konzert 8/79

Schweiz - Genf - Grand Theatre

LA GIOCONDA, Amilcare Ponchielli

Premiere: 2. 12. 1979

La Gioconda - Montserrat Caballé, Laura Adorno -Maria Luisa Nave, Alvise Badoero - Bonaldo Giaiotti, La Cieca - Patricia Payne. Enzo Grimaldo -José Carreras, Barnaba - Matteo Manuguerra, Zuane - Michel Bouvier, Isepo - Jaume Baro. Zweiter Gondolier - Bernard Angot,  Ein Sänger -Renzo Cambiati, Dirigent - Jesus Lopez-Cobos, Inszenierung - Andras Miko, Bühnenbilder und Kostüme - Hubert Monloup, Choreographie - Peter van Dyk, Chor - Paul-André Gaillard

von IRENE BURGAUER

Die neue Genfer Inszenierung von Amilcare Ponchielli's „La Gioconda" könnte als ein Teil des hundertjährigen Jubiläums des Hauses betrachtet werden. Die Oper wurde 1902 mit dem Sohn des Komponisten als Dirigenten und der Zustimmung von Theresa Brambüla-Ponchielli, der Witwe des Komponisten, die damals Lehrerin am Genfer Conservatorium war, aufgeführt - nach der damaligen Kritik beschämend lieblos.

Diesen Vorwurf könnte man der jetzigen Inszenierung keinesfalls machen. Sie hat eine kaum zu überbietende, Stern-gekrönte Besetzung, Bühnenbilder und Kostüme (von HUBERT MONLOUP) von hinreißender Schönheit, und einen Dirigenten, JESUS LOPEZ-COBOS, der mit dem nicht immer zu Glanzleistungen aufgelegten Orchestre de la Suisse Romande und einer nicht allzu ergiebigen Partitur wahre Zauberkünste vollbrachte.

Die Regie von ANDRAS MIKO ist wohlweislich zurückhaltend. Er benutzt die Gondel geschickt, um Auf- und Abtritte zu variieren, disponiert in den Massenszenen gekonnt einen (von PAUL-ANDRE GAILLARD) gut vorbereiteten und singenden Chor. Das Ballet des Grand Theatre bemühte sich elegant um die etwas unbeholfene Choreographie von PETER VAN DYK.
Für den Erfolg dieser Oper sind die Leistungen der Sänger ausschlaggebend: für die sechs Hauptrollen müssen sie alle ein Höchtstmaß an gesanglichen und schauspielerischen Mitteln aufbringen, um die Schwächen des Werkes zu überstrahlen. Diese Leistungen waren ganz unterschiedlich. Für den Alvise brachte BONALDO GIAIOTTI etwas zuviel Steifheit und Pompösität mit. Eine imponierende Gesangsleistung kann man ihm jedoch nicht absprechen; gelegentliche Differenzierung seiner Gestik von Rolle zu Rolle wäre eine wohltuende Abwechslung. PATRICIA PAYNE als La Cieca zeigte eine große, warm timbrierte Stimme, musikalisch und schauspielerisch eine imponierende Begabung. Es gelang ihr nicht, das Alter der Rolle ganz glaubhaft zu machen, dennoch war sie bewegend und tragisch. MARIA LUISA NAVE als Laura und MATTEO MANUGUERRA als Barnaba waren versierte, engagierte Schauspieler. von Stimme und Musikalität her prächtige Sänger, aber beiden fehlte die Ausstrahlung, die eine Rolle heraushebt und zu einer unvergeßlichen Verkörperung macht. Nur MONTSERRAT CABALLE in der Titelrolle und JOSE CARRERAS als Enzo erfüllten die anspruchsvollen Aufgaben ganz mit gesanglicher Meisterschaft und voll überzeugender Rollenidentifizierung. Caballés Gioconda bleibt bei allen unwahrscheinlichen Wendungen der Handlung und bei allen musikalischen Anforderungen immer souverän, immer würdig, aber auch immer Mensch, immer die Frau - hebend, hoffend, verraten, sich aufopfernd. Sie findet in ihrer Rolle unter der oberflächlichen Verzierung und Sentimentalität die Wahrheit der Figur und gibt diese in ihrer Haltung unverfälscht in der Farbskala der Stimme wieder. Man konnte die Problematik dieser Rolle nicht überhören; zwischen der dramatischen Höhe und den etwas forcierten Brustregistern der Stimme liegt eine gefährlich schwache Mittellage. Die Sängerin wußte diese sorgfältig zu überbrücken. Aber zu viel der dramatischen Rollen könnten ihr zum Verhängnis werden. Bei José Carreras ist von einer ihm in den letzten Monaten nachgesagten Gefährdung der Stimme keine Spur zu vernehmen. Mit einem Goldenen Spitz bringt diese Stimme jede Nuance der Emotionen, jede Regung in leidenschaftlicher lntensität zum Blühen. Was der Rolle an darstellerischen Möglichkeiten völlig abgeht, gibt Carreras fast ausschließlich mit seinem Gesang. Wie sein Don Carlos, sein Werther, sein Rodolpho, so ist sein Enzo Grimaldo eine herrliche, in sich gefestigte Verkörperung  - ein unvergeßliches Opernerlebnis.
Diese im französischen Repräsentationsstil geschriebene italienische Oper wurde durch die beiden spanischen Sänger und den spanischen Dirigenten zum neuen schweizerischen Opernereignis.

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Sound recording review La Gioconda Genf

Ponchiellis GIOCONDA mit der CABALLE aus Genf 1979 wird ganz sicher ihre Liebhaber finden, die Sopranistin ist hier in noch besserer Form als auf ihrer Studioaufnahme, und vor allem die lyrischen Bögen des 1. Aktes liegen ihr gut im Hals. Wenn‘s dramatisch wird, wird‘s auch riskanter. JOSE CARRERAS singt strahlend neben ihr, wenngleich sich vielleicht schon die ersten Anzeichen der Krankheit zeigen***. MATTEO MANUGUERRA vergiftet die Brunnen Venedigs mit Erfolg, MARIA LUISA NAVE sorgt für wettermäßige Nebelwolken als Laura, BONALDO GIAIOTTI ist der Alvise vom Dienst. Am besten gefällt eigentlich die schmissige und wie meist vorandrängende Leitung von JESUS LOPEZ COBOS, der als Theaterfachmann weiß, wie man Spannung erzeugt. Weiträumiges Stereo deutet auf die Radioübertragung der Suisse Romande hin (LCD 170-2).

***Kommentar: 8 Jahre vorher!!! Arzt oder Hellseher, das ist hier die Frage. Vielleicht hätte der Schreiber dieses Reviews sich besser mit den Daten vertraut machen sollen, oder die hervorragenden Kritiken aus 1979 (siehe oben und Opernwelt) lesen sollen.